Abelfattah al-Sisi: von Sicherheitsdenken getrieben

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Jeder Tag beginnt mit einem Foto von Präsident Abdelfattah al-Sisi auf der Titelseite der Tageszeitung. Die Nachrichten im Radio sind eine inhaltslose Aufzählung seiner Aktivitäten über den Tag. Ein Jahr nach seiner Amtsübernahme ist der ehemalige Armeechef und Verteidigungsminister omnipräsent. Der Fokus auf einen einzigen Mann und der Personenkult erinnern an die jahrzehntelange Regentschaft von Hosni Mubarak, der im Frühjahr 2011 gestürzt wurde.

Sisi regiert ohne Parlament und hat deshalb fast uneingeschränkte Macht. Noch immer gibt es keinen Termin für die Parlamentswahlen. Grund sind juristische Geplänkel um das Wahlgesetz. Der Präsident hat jedoch keine Eile. Wichtige Gesetze werden ohne öffentliche Debatte in Kraft gesetzt - und geändert.

Kein Freund von kontroversen Debatten...

Bis die Volkskammer arbeitet - im besten Fall gegen Jahresende -, werden die wichtigsten Pflöcke eingeschlagen, die staatlichen Strukturen definiert sein. Das neue Parlament wird zwar zwei Wochen Zeit haben, die Dekrete zu ratifizieren; für eine Überprüfung reicht das aber nicht aus.

Der Präsident ist kein Freund von kontroversen Debatten. Er führt das Land eher wie eine Armee, unterstützt von Beratern und engen Mitarbeitern, die fast alle Offiziere sind. Bereits dreimal hat er versucht, alle wichtigen Parteien dazu zu bewegen, sich auf eine Einheitsliste zu verständigen. Den Parteien wird ohnehin nur ein Fünftel der Sitze zugestanden. Die große Mehrheit wird über Einzelwahlkreise verteilt, die mit Geld und Beziehungen leicht zu beeinflussen sind. Etwas anderes als ein Sisi-Ja-Sager-Parlament ist deshalb nicht zu erwarten.

... und auch keine politische Vision...

Eine politische Vision hat Sisi nicht. Das hat er auch nie von sich behauptet. Er ist angetreten, um nach dem Sturz der Muslimbrüder die Stabilität wiederherzustellen und die Wirtschaft anzukurbeln. Sicherheitsdenken beherrscht sein ganzes Wirken.

Sisi hat auch kein Konzept, wie mit dem politischen Islam umgegangen werden soll. Der Preis sind massive Menschenrechtsverletzungen. Zwischen Mitte 2013 - der Entmachtung der Muslimbrüder - und Ende 2014 erlebte Ägypten die gewalttätigste Periode seit 30 Jahren, hat der nationale Menschenrechtsrat kürzlich festgestellt. In dieser Zeit gab es 2600 Tote. Menschenrechtsorganisationen sprechen deshalb offen von einer "Republik der Angst".

... dafür Härte gegen die Opposition

Die Unterdrückung der Islamisten hat die Extremisten gestärkt. Anschläge und Sabotageakte gibt es fast täglich. Die Repression trifft jedoch jede Art von Opposition - auch die Aktivisten der Revolution von 2011. Den Geist von damals und auch den Geist des 30. Juni 2013, also jenen der Massendemonstrationen gegen die damals regierenden Muslimbrüder, will eine neue Bewegung wieder erwecken, die sich al-Bidaya (Der Anfang) nennt. Von den Medien, die allesamt Sisis Politik verteidigen, wurde die Bewegung sofort verunglimpft: Sie diene lediglich den Muslimbrüden.

Noch kann sich Sisi auf die Bevölkerung stützen, die laut Umfragen zu über 80 Prozent hinter ihm steht. Von der leichten Erholung, die von über 20 Milliarden Dollar vom Golf gestützt wurde, hat die Masse der Ägypter jedoch noch nichts gespürt. Sisi will die Wirtschaft mit Megaprojekten wie dem Suezkanal in Schwung bringen. Auch hier fehlt eine Vision, die für Ägypten passt und nicht von Dubai inspiriert ist.

Außenpolitische Realpolitik

In der Außenpolitik setzt Sisi nicht nur auf die USA, sondern hat sich auch Ländern wie Russland und China zugewandt. Sein Besuch in Deutschland vergangene Woche war der letzte Beweis, dass Vorbehalte des Westens wegen der fehlenden demokratischen Entwicklung den realpolitischen und wirtschaftlichen Interessen gewichen sind: Ägypten als Stabilitätsfaktor in einer von Krisen geschüttelten Region ist unverzichtbar. (Astrid Frefel aus Kairo, DER STANDARD, 8.6.2015)