Der Skandal um die römische "Mafia Capitale" weitet sich aus. Nachdem die Staatsanwaltschaft von Rom am Donnerstag 44 verdächtige Politiker, Beamte und Unternehmer festgenommen hatte, wurde nun bekanntgegeben, dass gegen zwölf weitere Verdächtige ermittelt wird. Sie sollen sich angeblich an Flüchtlingen vorbehaltenen Geldern bereichert haben. Im Kreuzfeuer der Kritik steht auch Innenminister Angelo Alfano von der Koalitionspartei NCD (Nuovo Centro Destra). Obwohl er bereits zu Jahresbeginn vom Antikorruptionskommissar gewarnt worden sei, dass die Auftragsvergabe für die Einrichtung des neuen Flüchtlingslagers in Mineo (Sizilien) nicht den Vorgaben entspricht, hat Alfano die Arbeiten nicht gestoppt.

Problem ist, dass sich gerade in der Gegend rund um die sizilianische Universitätsstadt Catania nahe des Flüchtlingslagers Mineo mit einer Kapazität 4000 Personen die meisten Wähler der von Alfano gegründeten "Neuen Mitte-rechts-Partei" befinden. Die Opposition hat prompt den Rücktritt Alfanos gefordert.

Wenig Kommentar des Premiers

Regierungschef Matteo Renzi hält sich mit Kommentaren zurück, bestätigt aber, dass mit allen Mitteln gegen die Korruption vorgegangen und die Schuldigen aus der Politik entfernt werden müssen. In den Ermittlungen ist auch die Regierungspartei des Premiers, die Demokratische Partei (PD) verwickelt. Renzi ließ wissen, dass Ermittlungen noch keine Beweise darstellen. Scharfe Kritik gibt es auch am Bürgermeister von Rom, Ignazio Marino (PD). Zwar wird er nicht verdächtigt, sich im Korruptionsskandal engagiert zu haben. Er sei aber zu schwach oder unfähig, den Mafiasumpf in und um Rom zu meistern.

Die Staatsanwälte sehen die Existenz einer genuin römischen Mafia als erwiesen an. Die Hauptstadt-Mafia oder "Mafia Capitale" hatte verschiedene Geldquellen. Insbesondere machte sie illegale Geschäfte beim Verkauf öffentlicher Immobilien, der Müllentsorgung, im Gesundheitssektor sowie bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Das Geschäft mit den Flüchtlingen soll sich laut jüngsten Schätzungen der Mailänder Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore auf bis zu einer Milliarde Euro belaufen haben. "Das Flüchtlingsgeschäft wird einträglicher als der Drogenhandel", kommentieren Mailänder Mafia-Exerten.

Die Öffentlichkeit ist wütend. Am Wochenende wurden wieder 3000 Flüchtlinge vor Sizilien gerettet. "Sich an der Not der Ärmsten zu bereichern ist barbarisch", sagte der Bürgermeister von Palermo. Seine Stadt hat allein am Sonntag 800 Flüchtlinge aufgenommen. (Thesy Kness-Bastaroli aus Mailand, 7.6.2015)