Bild nicht mehr verfügbar.

Tariq Aziz ist tot.

Foto: AP/Mizban

An zwei der nach dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein 2003 verhafteten und zum Tode verurteilten Regimemitglieder wurde die Exekution nicht vollzogen: Tariq Aziz, Saddams langjähriger Vizepremier und Außenminister, der am Freitag im Gefängnis in Nasiriya starb, war einer von ihnen.

Der andere ist der frühere Verteidigungsminister Sultan Hashim Ahmed al-Tai. Dieser konnte auf eine starke Lobby innerhalb des Irak zählen, er stammt aus einem wichtigen Stamm und galt auch Experten nur als Befehlsempfänger. Für den chaldäischen Christen Tariq Aziz setzte sich 2010, als das Todesurteil ausgesprochen wurde, hingegen das Ausland ein, unter anderem der Vatikan, aber auch europäische Regierungen. Im Herbst 2014, anlässlich der Regierungsbildung von Premier Haidar al-Abadi, gab es Gerüchte über die bevorstehende Freilassung beider Gefangener – besonders jene von Sultan Hashim wäre dazu angetan gewesen, die entfremdeten Sunniten für den Kampf gegen den "Islamischen Staat" zu gewinnen. Es kam nicht dazu.

Tariq Aziz, dessen ursprünglicher Name Mikhail Yuhanna war, wurde 79 Jahre alt, er war seit langem schwer krank – in den 1990er Jahren wurde er auch in Österreich behandelt – und wollte laut Angaben seines Anwalts nicht mehr leben. Die USA hatte er, als sie 2011 aus dem Irak abzogen, vorgeworfen, sie würden "den Irak den Wölfen ausliefern". "Die Wölfe" waren die Iraner – den "Islamischen Staat" (IS), der 2014 die Christen aus Mossul und Umgebung vertrieb, hatte er nicht vorausgesehen, die Heimatstadt seiner Familie, Tel Keppe bei Mossul, wurde im August vom IS eingenommen. Allerdings kann man argumentieren, dass das Aufkommen des IS mit dem hegemonialen Aufstieg des Iran nach 2003 in einem direkten Zusammenhang steht.

Englisch und Journalismus

Aziz war ein früher Weggefährte Saddam Husseins, nach seinem Englisch-Studium in Bagdad betätigte er sich journalistisch und trat 1957 in die Baath-Partei ein. 1958 wurde im Irak die Monarchie gestürzt, 1963 wiederum putschte die Baath-Partei den Putschgeneral von 1958, Abdulkarim Qassim, weg – unter dem Applaus des Westens und tätiger Mithilfe der CIA, denn Qassim hatte sich zu sehr der Sowjetunion angenähert. Im Herbst 1963 verlor die Baath-Partei die Macht wieder an traditionelle arabische Nationalisten, bis sie sie 1968 für die nächsten 35 Jahre, bis 2003, ergriff.

Tariq Aziz war in den ersten Jahren für die Propaganda – die Zeitungen der Baath-Partei, vor allem die mächtige al-Thawra - zuständig und stieg gemeinsam mit Saddam Hussein, der bis 1979 Vizepräsident war, auf. Seit 1977 war Aziz im Revolutionskommandorat. Nach der absoluten Machtergreifung wurde er Vizepremier – Premier war der Präsident in Personalunion selbst – und 1983, während des Kriegs mit dem Iran, der bis 1988 dauerte, Außenminister. Weltweit bekannt wurde der Mann mit den dicken, großen, dunkel umrandeten Brillen, der sich gerne eine Zigarre und einen Whisky gönnte und einen freundlich-verbindlichen Eindruck machte, nach dem irakischen Überfall auf Kuwait, als er für den Irak mit den USA verhandelte. Den Golfkrieg 1991, der den langen Niedergang des Regimes einleitete, konnte er nicht verhindern.

Dass sich Tariq Aziz als einer, der mit dem Westen relativ gut reden konnte, so lange unter Saddam Hussein hielt, hatte wohl den einfachen Grund, dass ihn Saddam als Christen nie fürchten musste: Mehr wäre für Tariq Aziz an Karriere im Irak nicht möglich gewesen. Eine nüchterne Einschätzung seines Einflusses im Regime illustriert seine Nummer auf der Fahndungsliste der Amerikaner nach der Irak-Invasion 2003: 43 von 55.

Die iranische Obsession

Mit Saddam Hussein teilte er jedoch die absolute Überzeugung, bis zuletzt, dass der Iran und die religiöse Schia die größte Gefahr für den Irak seien. Er selbst hatte 1980 einen Attentatsversuch der schiitischen Dawa-Partei – die den aktuellen und den letzten Ministerpräsidenten, Abadi und Maliki, stellt – überlebt. Für die "Verfolgung religiöser Parteien" wurde er auch zum Tode verurteilt – von einem Richter, der der Dawa angehörte –, wobei neutrale Prozessbeobachter kritisierten, dass ihm die Beteiligung an Verbrechen nicht nachgewiesen wurde. Außer zum Tod war Aziz auch zu zwei Haftstrafen verurteilt worden: 15 Jahre wegen der Hinrichtungen von Händlern, die 1991, im ersten Sanktionsjahr nach dem Golfkrieg, der Preistreiberei für schuldig befunden wurden, und sieben Jahre für Verbrechen gegen die Kurden in den 1980er-Jahren.

Vom Vorwurf der Beteiligung an der Niederschlagung von Schiitenaufständen 1999 wurde er freigesprochen. Da war sein Stern tatsächlich schon im Sinken gewesen. 2001 wurde einer seiner Söhne, Ziad, wegen Korruption verurteilt, der Vater bot seinen Rücktritt an, den Saddam zwar nicht annahm, aber Tariq Aziz galt danach als kaltgestellt.

In vielen Medienberichten heißt es, Tariq Aziz wurde nicht hingerichtet, weil sich der kurdische Präsident Jalal Talabani 2010 weigerte, das Todesurteil zu unterschreiben. Das ist nur halb richtig. Talabani unterschrieb prinzipiell keine Todesurteile, sehr wohl aber seine Vizepräsidenten. Im Falle der Hinrichtung von Saddam Hussein Ende Dezember 2006 dürfte dieser in der irakischen Verfassung festgeschriebene Schritt überhaupt übergangen worden sein: Premier Nuri al-Maliki hatte es mit der Hinrichtung eilig. Allerdings ist ihm zugute zu halten, dass die irakischen Behörden damals, inmitten des Bürgerkriegs, eine Massenentführung befürchteten, mit der Saddam Hussein freigepresst werden sollte. (Gudrun Harrer, 6.6.2015)