Wien – Als "menschliche und politische Bankrotterklärung" bezeichnet Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) die Unterbringung von Flüchtlingen des Erstaufnahmezentrums in Zelten. Vor allem dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auch in Zelten ohne Betreuung leben sollen, hält Babler für eine "menschliche Tragödie", sagte er am Mittwoch.

"Es werden hier Billigvarianten diskutiert. Menschen haben in Kasernen und in Zelten nichts verloren", sagt die Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits. "Eigentlich müsste man die Republik Österreich wegen Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt melden." Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge würden nicht als Kinder behandelt werden, sondern als Ausländer: "Wir müssen uns um diese Kinder kümmern, es braucht Zuständige, die Know-how haben, Traumatherapie und Sozialarbeiter." Aktuell sei Traiskirchen ein Lager, für das man sich schämen müsse.

Obsorge bei Jugendwohlfahrt

Auch die Volksanwaltschaft sieht große Probleme bei der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Traiskirchen. Dass Kinder und Jugendliche in "Massenquartieren" untergebracht werden, gehe "gar nicht". Dieser Missstand müsse behoben werden, sagt Volksanwalt Günther Kräuter. Die Obsorge für unbegleitete Flüchtlingskinder müsse die Jugendwohlfahrt übernehmen. "Wir dürfen keinen Unterschied machen zwischen den Kindern, die in Österreich leben", sagt Kräuter. Flüchtlingskinder müssten genauso behandelt werden wie inländische.

Aktuell wurde ein Kommissionsbericht der Volksanwaltschaft zum Erstaufnahmezentrum veröffentlicht. Im Juli soll er im Nationalrat diskutiert werden. Überprüfungsbesuche müssen in Traiskirchen vorab angekündigt werden, sagt Volksanwaltschafts-Kommissionsleiter Franjo Schruiff. Beim letzten Besuch Ende April konnten trotzdem viele Probleme gefunden werden. Etwa in einem Haus, in dem 255 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren während der gesamten zweistündigen Kontrolle keine Betreuung erhielten. Die untergebrachten Kinder hätten zudem "nichts zu tun". Sie würden über Monate hinweg nur "aufbewahrt" werden.

Zudem gebe es im Erstaufnahmezentrum keine verschließbaren Schränke. "Die Jugendlichen tragen ihre Wertsachen wie etwa Handys den ganzen Tag bei sich", sagt Schruiff. Auch Essen werde nur zu bestimmten Uhrzeiten ausgegeben und dürfe nicht in die Wohnräume mitgenommen werden. "Das führt dazu, dass Mütter Milch für die Säuglinge schmuggeln."

Gefährliche Situationen ohne Betreuung

Die Probleme bestätigt auch Babler: Der Betreuungsmangel führe etwa dazu, dass junge Flüchtlinge sich im städtischen Bad alleine aufhalten. Sie könnten aber weder schwimmen noch lesen. "Das ist eine gefährliche Situation. Aber wir haben als Behörde rechtlich keine Handlungsmöglichkeiten", sagt der Bürgermeister. Die Stadt stoße an infrastruktuelle Grenzen: "Wir haben auch nur zwei Spielplätze, wo sich die Kinder aufhalten können." Insgesamt seien es "schändliche Zustände" im Erstaufnahmezentrum. Aber niemand scheine sich zuständig zu fühlen. "Die NGOs brauchen mehr Geld für die Betreuung der Kinder, es braucht passendere Unterkünfte in kleineren Gruppen."

Katharina Glawischnig von der Asylkoordination Österreich kritisiert, dass minderjährige Flüchtlinge oft "verschoben" würden: "Es sind viele Stationen, die die Kinder durchlaufen, und Beziehungsabbrüche, die dadurch entstehen." Sie fordert eine Anpassung der Höhe der Tagsätze für die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Aktuell liegen diese bei 39, 64 oder 77 Euro. In der Jugendwohlfahrt, also wenn inländische Kinder nicht mehr bei ihren Familien leben können, betragen die Sätze 120 Euro plus. Hier sollte angeglichen werden. Sollte der Bund nicht zahlen, sollen die Länder einspringen.

Prüfung durch Volksanwaltschaft

Ein aktuelles Prüfverfahren liegt der Volksanwaltschaft vor: So wurde beanstandet, dass es in Traiskirchen Kinder gebe, die nach der Aufnahme innerhalb von 24 Stunden nicht versorgt würden. Kräuter will jetzt diese Anschuldigungen prüfen: "Auch Landeshauptmann Pröll soll dazu Stellung beziehen." (Oona Kroisleitner, 3.6.2015)