Als US-Präsident Barack Obama Ende 2011 nach Europa reiste, um am Treffen der Industrie- und Schwellenländer (G20) teilzunehmen, gab es dort fast nur ein Thema: die Krise in Griechenland und die Weigerung des sozialistischen Premiers Giorgos Papandreou, die von Europartnern und IWF geforderten Strukturreformen im Land – von Steuern über Pensionen bis Arbeitsmarkt – im Gegenzug zu den Milliardenkrediten auch wirklich umzusetzen.
Zwei Tage und Nächte lang befetzten sich die europäischen Staatenführer vor den Augen ihrer chinesischen, indischen oder russischen Partner. Papandreou drohte mit einer Volksabstimmung über das Sparprogramm.
Die deutsche Kanzlerin Merkel war außer sich, was den um den Ruf "seiner" G20 gebrachten Präsidenten Nicolas Sarkozy veranlasste festzustellen, er habe "Anschela" noch nie so wütend gesehen. Papandreou trat bald danach zurück (und in seinem Abwärtssog auch Italiens Silvio Berlusconi). Obama, der die USA nach dem Lehman-Kollaps gerade aus dem Schlimmsten der Wirtschafts- und Finanzkrise herausgeführt hatte, war verblüfft – und amüsiert, als er zum Abschluss gefragt wurde, was er denn aus der mondänen Filmfestivalstadt über Europa mitnehme: "Es ist offensichtlich sehr kompliziert. Und es gibt hier sehr viele Präsidenten."
Eine höfliche Antwort für das Tohuwabohu von Entscheidungsunfähigkeit, willkürlichem Durcheinandergerede, nationaler Kurzsichtigkeit, durch das die nicht vereinigten Staaten von Europa heute geprägt sind.
Knapp vier Jahre später fliegt Obama wieder über den Atlantik, diesmal zum Treffen in der kleineren Runde der sieben Industriestaaten (G7), die sich nach der Aggression in der Ukraine von Russland zwischenstaatlich verabschiedet haben.
Im beschaulichen Schloss Elmau soll es um viele Probleme der Welt gehen - um den Iran, Syrien, den IS, die Terrorgefahr, die Flüchtlingskatastrophe, das Schwanken der Weltwirtschaft; aber um einen Fall sollte es nicht gehen: Griechenland. So stellte sich das zumindest Gastgeberin Angela Merkel vor, die zuletzt in Berlin verzweifelt versuchte, eine Lösung durchzudrücken. Aber es wird ihr kaum gelingen. Premier Alexis Tsipras (der vierte seit Papandreou, zwei Übergangspremiers und zuletzt Antonis Samaras) wird wie ein stiller Gast mit am Tisch sitzen.
Denn was in Cannes galt, das gilt auch in Elmau: Die EU heißt zwar Union, ist aber nur ein Bündel egoistischer Staaten, die sich im Zweifel wenig um das Gemeinsame, das Solidarische, um die gemeinsamen Institutionen kümmern. Damit ist Tsipras nicht allein, es gilt mindestens so sehr für andere Premiers wie etwa David Cameron, Viktor Orbán etc. Solange eine sehr enge Geldunion wie die Eurogruppe keine Regeln hat, wie man Verstöße und Regelbrüche real, nicht nur verbal, sanktioniert, wird geschlampt werden.
Mangels klarer Verfahrensordnung wird den Europartnern daher auch diesmal nichts anderes übrigbleiben, als ein paar Augen zuzudrücken, wie schon 2010 und 2012 nach Cannes – und für Griechenland neuerlich ein paar Milliarden Euro an Hilfskrediten draufzulegen. Das ist – angesichts des sicherheitspolitischen Desasters, das bei einem Abdriften des Landes ins Chaos droht – auch gar nicht falsch. Die Länder gleich vis-à-vis von Griechenland heißen Libyen, Ägypten, Israel, Syrien, die Türkei, der Westbalkan. (Thomas Mayer, 2.6.2015)