Tschechiens Außenminister Lubomír Zaorálek sieht in der russischen Geschichtsdoku "grobe, lügenhafte und himmelschreiende Geschichtsfälschung."

Foto: imago/CTK Photo

Prag/Wien – Tschechiens Außenminister Lubomír Zaorálek zeigte sich am Montagabend nach seiner Begegnung mit dem russischen Botschafter Sergey Kiselev weiterhin besorgt über das Verhältnis Moskaus zur EU und zur eigenen Geschichte.

Kiselev war wegen der russischen Einreiseverbote gegen EU-Politiker ins Prager Außenministerium zitiert worden. Auf der schwarzen Liste Moskaus stehen auch vier Tschechen, darunter der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle und Ex-Außenminister Karl Schwarzenberg. Kiselev soll im Zusammenhang mit der Liste von Personen gesprochen haben, die beim "Umsturz in der Ukraine" im vergangenen Jahr eine Rolle gespielt hätten.

Umstrittene Geschichtsdoku

Thema der Unterredung war auch ein Dokumentarfilm über die Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968, der kürzlich vom russischen Staatsfernsehen ausgestrahlt worden war. Die Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei wird in dem Film als notwendiger Schritt gegen einen drohenden Umsturz durch die Nato, ehemalige SS-Leute und Faschisten dargestellt.

Für den überwiegenden Teil der tschechischen Öffentlichkeit kommt das einer Provokation und einer inakzeptablen Fälschung der Geschichte gleich. Der Prager Frühling, der von der damaligen reformkommunistischen Führung der Tschechoslowakei unter Alexander Dubcek mitgetragen wurde und 1968 in der Abschaffung der Pressezensur einen Höhepunkt fand, gilt bis heute als Versuch eines demokratischen Aufbruchs und einer Loslösung von Moskau. Seine gewaltsame Niederschlagung durch die Sowjetunion und andere Staaten des Warschauer Pakts wird auch von jenen Politikern verurteilt, die die Idee eines "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", wie er 1968 in der Tschechoslowakei propagiert wurde, vehement kritisieren.

Verweis auf die Gegenwart

Außenminister Zaorálek sieht zwischen der aktuellen schwarzen Liste Moskaus und dem Film über das Jahr 1968 einen "gefährlichen Zusammenhang". In beiden Fällen gehe es darum, hinter den politischen Entwicklungen in einem anderen Land nicht das dortige Volk zu sehen, sondern fremde Mächte. Derartige Verschwörungstheorien, durch die in Russland das Bild vom "bösen Westen" gezeichnet werde, seien sehr beunruhigend, so der Sozialdemokrat. Es handle sich um "grobe, lügenhafte und himmelschreiende Geschichtsfälschung".

Der russische Botschafter habe laut Zaorálek versucht, die Bedeutung der Dokumentation, die auch mit Ausschnitten aus Sowjet-Propagandafilmen arbeitet, herunterzuspielen: Nach wie vor gelte die Erklärung des ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, der eine "moralische Verantwortung" seines Landes für die Invasion 1968 einräumte, so Kiselev.

Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hatte sich 2006 bei seinem Besuch in Prag dem noch angeschlossen. (Gerald Schubert, 2.6.2015)