Während seiner Amtszeit als Bundeskanzler (2000 bis 2007) hat sich Wolfgang Schüssel den Spitznamen "Schweigekanzler" zugezogen, weil er sich beharrlich geweigert hat, Vorgänge rund um seinen Koalitionspartner FPÖ zu kommentieren. Seit seinem Ausscheiden aus der Politik hat man wenig von ihm gehört - aber das liegt vielleicht auch daran, dass man in Österreich nicht dort zugehört hat, wo Schüssel gesprochen hat.

Der vorliegende Band dokumentiert, dass Schüssel nicht nur recht häufig - vor allem im Ausland, wo er ein hochgeschätzter Festredner ist -, sondern auch sehr pointiert das Wort ergreift: etwa in einer Laudatio auf Miklós Németh, den ungarischen Ex-Ministerpräsidenten, der 1989 den Mut hatte, den (zu diesem Zeitpunkt nicht einmal mehr finanzierbaren) Eisernen Vorhang abzubauen: "Es gibt immer, auch wenn es noch so schwierig ist, Fenster in der Geschichte - ,Windows of Opportunity'. Die muss man erkennen und dann den Mut aufbringen, diese Fenster aufzustoßen. Und dann braucht es Vertrauen ... Vertrauen ist auch die Währung des 21. Jahrhunderts. Ohne ein solches Grundvertrauen in Personen kann auch moderne Politik nicht funktionieren."

Dieses Vertrauen, schreibt er an anderer Stelle, mache etwa den Erfolg der "Vertrauenskanzlerin" Angela Merkel aus - auch wenn dieser immer wieder "Macho-Reflexe" entgegenschlügen. Und in einer Rede über und für den Publizisten George Weidenfeld bekennt er, dass das "Trust Deficit" viel gefährlicher als das Budgetdefizit (das man gleichwohl abbauen müsse) wäre. Schließlich mahnt er zu Wachsamkeit, wenn das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben wird, während NGOs und Außenseitern ohne Legitimation und Verantwortung immer mehr Vertrauen entgegengebracht wird.

Und dennoch spricht aus Schüssels Buch viel Optimismus - den sieht er quasi als Verpflichtung aller politisch Tätigen. Er wirbt dafür, mit diesem Optimismus Europa zu gestalten. (Conrad Seidl, 2.6.2015)