Ankara/Athen - Als die Frage nach dem Waffentransport kommt, werden die Augen in Erdogans maskenhaft gewordenem Gesicht besonders groß. "Ich habe meine Anwälte beauftragt, ich habe sofort ein Verfahren eröffnet", sagt der türkische Präsident. "Die Person, die diesen Exklusivbericht verbreitet hat, wird dafür schwer bezahlen. Ich lasse sie nicht so davonkommen."

Das Wort "Waffen" kommt in dem Interview des türkischen Staatssenders TRT mit Tayyip Erdogan im Präsidentenpalast von Ankara gar nicht erst vor. Der Staatschef kennt keine Gnade. Auf einem Sessel mit golden verschnörkelter Rückenlehne sitzend, die drei Journalisten in Respekt zollenden mehreren Metern Abstand hinter einem goldenen Tisch platziert, spricht er von Spionage und Terrorismus gegen den Staat aus der Hand eines Journalisten. Die Türkei leiste den Menschen in Syrien "logistische Hilfe", erläuterte Erdogan in dem Interview am Sonntagabend.

Kistenweise Munition

Dabei ist das Video nun endlich draußen. Die ganze Türkei hat es gesehen. Knapp eineinhalb Jahre nach dem Vorfall von Adana, als Gendarmen des türkischen Militärs auf einer Schnellstraße nach Syrien sieben Lastwägen des türkischen Geheimdienstes stoppten und durchsuchten, gibt es keinen Zweifel mehr über die Ladung: Kistenweise Munition für Gewehre sowie Artilleriegeschoße, manche einen Meter lang, zeigen die Aufnahmen, die Can Dündar, ein bekannter Kolumnist der Tageszeitung Cumhuriyet, online als Video und in der Druckausgabe als Bilder veröffentlich hat. "Hier sind die Waffen, von denen Erdogan gesagt hat, dass es sie nicht gibt", lautete der Titel. Dass die Aufnahmen, die wohl von den Gendarmen selbst stammen, jetzt an die Öffentlichkeit kommen, eine Woche vor den Parlamentswahlen, ist schwerlich ein Zufall.

Parallelorganisation

Auch der Einsatz der Gendarmerie am Morgen des 19. Jänner 2014 soll ein abgekartetes Spiel gewesen sein, behaupten Erdogan und die Regierung. Alles ein Werk der "Parallelorganisation", des Netzwerks des Predigers und einstigen Erdogan-Verbündeten Fethullah Gülen. Bis in die Justiz und die Polizei soll dieses Netzwerk reichen und es darauf anlegen, Erdogan zu kompromittieren und samt Regierung zu stürzen.

Die Waffenlieferung ins Kriegsgebiet nach Syrien bleibt freilich ein Faktum. Im Jänner 2014 hatte die türkische Regierung zunächst alles abgestritten und behauptet, es habe sich um eine humanitäre Hilfslieferung gehandelt, die von den Gendarmen gestoppt wurde. Im Parlament gab die Regierung dann an, die Adressaten seien die Turkmenen gewesen.

Die türkischstämmige Minderheit im Nordosten Syriens wurde vor dem Krieg auf höchstens 200.000 Menschen geschätzt; Ankara, das sich als Patron der Turkmenen fühlt, spricht von mehr als einer Million. Turkmenische Rebellen sollen sowohl gegen die Regierungstruppen von Bashar al-Assad kämpfen als auch gegen die syrischen Kurden und den Islamischen Staat. Wer die Waffen nun bekam - Turkmenen oder islamistische Freischärler -, will Premier Ahmet Davutoglu nicht sagen: "Das geht niemanden etwas an." (Markus Bernath, 2.6.2015)