In den USA war die Abtreibungspille RU 486 in den 1980er-Jahren heftig umstritten. Der "New York Times" war sie eine Titelstory wert.

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Wien – Anfang der 1980er-Jahre entwickelt der französische Arzt Étienne-Émile Baulieu die Pille RU 486. Zwanzig Jahre nach Erfindung der Antibabypille ist dies ein weiterer Schritt zur Selbstbestimmung von Frauen.

Abtreibungsgegner sehen das anders. Für sie ist die Pille Satanswerk. Die sie einnehmen, sind aus ihrer Sicht Mörderinnen. Die 80-minütige Reportage "RU 486 – Die etwas andere Pille" von Charles Castella und Ted Anspach am Dienstag, 21.45 Uhr auf Arte, zeigt, dass sich zumindest in der Härte der Debatte seither nichts geändert hat.

Am Anfang steht das Ringen um die Zulassung des Medikaments. Zweimal zieht die französische Pharmafirma Roussel Uclaf den Antrag auf Zulassung zurück. Beim dritten Mal geht die Einreichung durch, RU 486 wird als Mifegyne bewilligt. In letzter Sekunde stoppt die Hoechst-Tochter die Vermarktung. Erst der französische Gesundheitsminister Claude Évin bringt die formale Wende. Er nennt die Pille den "moralischen Besitz von Frauen".

Unterschriftensammlung in Österreich

In Österreich beantragte Hoechst zu Beginn der 1990er-Jahre die Zulassung von RU 486. Aufgrund der heftigen Proteste vor allem seitens der Kirche und einer Unterschriftensammlung, die 80.000 Unterschriften einbrachte, wurde der Antrag von Hoechst zurückgezogen. Zugelassen ist Mifegyne in Österreich seit 1999.

Baulieu braucht zu dem Zeitpunkt schon Leibwächter. Er und weitere beteiligte Ärztinnen und Ärzte erhalten Drohbriefe. Fanatische Abtreibungsgegner vergleichen ihn mit Josef Mengele: "Abscheulich, wie man mich beschimpfte. Aber was bringt so etwas? Rein gar nichts", sagt Baulieu im Interview mit den Machern. In etlichen Ländern wird RU 486 zur ideologischen Zerreißprobe. Die vermeintlichen Lebensschützer gehen mit Bomben vor.

"Menschen töten"

Und mit abstrusen Behauptungen: Ein Genetiker prophezeit, das Medikament werde mehr Menschen töten als "Hitler, Mao und Stalin zusammen". Hartnäckig hält sich der medizinisch nicht nachweisbare Zusammenhang zwischen RU 486 und Brustkrebs.

Aber auch die Befürworter der Pille entwickeln Erfindergeist. Als die italienische Regierung einen dreitägigen Spitalsaufenthalt als Bedingung für die Abgabe vorschreibt, schickt der Gynäkologe Silvio Viale säckeweise Medikamentenschachteln an den Regionalrat. Frauen nahmen die Pille bis dahin ganz ohne Klinik.

Ultrakonservative werden stärker

Heute versuchen ultrakonservative Kreise wieder verstärkt, Land zu gewinnen. Wer sich im Internet zum Thema Abtreibung informieren will, gelangt sofort auf deren Seiten: Sie stellen sich als neutrale Plattformen vor und nutzen so die Notlage der Frauen aus. Was wäre zu erwarten, wenn die Gegner obsiegen würden? Ein Blick nach Texas zeichnet die Zukunft voraus: Dort treiben Frauen mittlerweile heimlich ab.

2014 ist die heimliche Abtreibung eine der häufigsten Todesursachen von Frauen. Heute stirbt weltweit alle acht Minuten eine Frau an den Folgen einer illegalen Abtreibung. (prie, 2.6.2015)