Bauarbeiter wie hier in einer Ziegelbrennerei nahe Delhi müssen auch in der Hitze schuften. Bis zu zehn Liter Wasser am Tag sollten sie zu sich nehmen, um nicht zu dehydrieren.

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Neu-Delhi - Der Fahrtwind in der Autorikscha fühlt sich an, als würde einem ein heißer Föhn direkt ins Gesicht blasen. Das Wasser aus den Leitungen ist so warm, dass eine kühle Dusche ein Traum bleibt - wenn überhaupt Wasser aus der Leitung kommt. In vielen Vierteln tröpfelt es nur noch aus dem Hahn. Die Krankenhäuser sind überlaufen mit Hitzekranken. Und in der Hauptstadt Delhi schmilzt sogar der Straßenasphalt.

Eine der schlimmsten Hitzewellen seit langem hat in Indien binnen zehn Tagen mindestens 2200 Todesopfer gefordert. Laut der Zeitung Hindustan Times ist das die höchste Zahl von Hitzetoten seit 15 Jahren. Die meisten waren Arme, Alte, Kranke und Obdachlose. Bis zu 48 Grad erreichten die Temperaturen in der Spitze, von einer "Killer-Hitzewelle" sprachen Medien. Allein in den Bundesstaaten Andhra Pradesh und Telangana sollen 1980 Menschen an Hitzeschlag und Dehydrierung gestorben sein.

Bauarbeiter und Tagelöhner müssen in Hitze schuften

Am Samstag sorgten erste Schauer in einigen Bezirken im Süden zwar für leichte Abkühlung, aber in anderen Regionen hält die Rekordhitze an. Die Regierung rät den Menschen, während der schlimmsten Hitzestunden zu Hause zu bleiben. Doch für viele Arme gehen die Ratschläge an der Realität vorbei. Bauarbeitern, bitterarmen Tagelöhnern und Bauern bleibt kaum etwas anders übrig, als in der Gluthitze zu schuften, wollen sie ihre Familien ernähren. Obdachlose liegen apathisch im Schatten von Bäumen und Gebäuden.

Krankenhäuser berichten von einem Ansturm von Hitzekranken, die sich oft zu zweit oder dritt ein Bett teilen müssen. Sie leiden an Kopfschmerzen, Krämpfen, Schwindel und Übelkeit. Vielerorts wurde das Wasser knapp. In Maharashtra schickte die Regierung tausende Tanklaster los, um Dörfer mit Wasser zu versorgen. Andernorts richteten Behörden Wassercamps ein. Laut Ärzten brauchen Menschen bei solchen extremen Temperaturen je nach körperlicher Belastung vier bis zehn Liter Wasser am Tag.

Selbst Nächte bringen kaum Abkühlung

Die Dauerhitze schlaucht den Körper, viele Menschen sind am Rande ihrer Kräfte. Und es gibt keine Atempause. Selbst die Nächte bringen kaum Abkühlung. In Städten wie Delhi heizen sich die Mauern der Gebäude auf, zudem blasen Klimaanlagen heiße Luft nach draußen. Die Armen schlafen auf Dächern oder auf dem nackten Zementboden ihrer Hütten, den sie vorher mit Wasser kühlen. "Ich mache kaum noch ein Auge zu", klagt die 28-jährige Priyanka, die mit ihrer Familie in Bhogal, einem überfüllten Armenviertel Delhis, wohnt.

Während die Bessergestellten dank Klimaanlagen ihre Wohnungen kühlen können, haben die Ärmeren nur Ventilatoren. Viele haben nicht einmal das. Ein Viertel der 1,3 Milliarden Inder verfügt über keinen Strom. Vielerorts verschärfen Stromausfälle die Lage, weil Klimaanlagen, Wasserkühler und Ventilatoren den Energiebedarf in die Höhe treiben.

Die Reichen fliehen im Sommer ohnehin lieber in kühlere Gefilde, in die Berge oder gleich ins Ausland. Sie harren dort aus, bis der Herbst die Temperaturen wieder auf ein erträgliches Maß senkt. Die Hitzewellen schlagen auf die Wirtschaftskraft des Landes, in dem noch immer jeder Dritte unterhalb der Armutsgrenze lebt.

Hitzewelle dürfte noch länger anhalten

Indien zählt zu den heißesten Regionen der Welt. Experten befürchten, dass der Klimawandel die Lage verschärft. Die Zahl der Hitzewellen-Tage könnte von fünf auf 30 bis 40 pro Jahr steigen, sagte Arjuna Srinidhi vom Zentrum für Wissenschaft und Umwelt der Zeitung The Hindu. Verzweifelt wartet das Land auf den Monsun, der dieser Tage den südlichen Küstenstaat Kerala erreichen soll. Doch es wird noch Wochen dauern, bevor er auch Zentral- und Nordindien von der Gluthitze erlöst. (Christine Möllhoff aus Neu-Delhi, 31.5.2015)