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foto: reuters/mcnaughton

Jetzt auch noch Grönland! Vergangenen Freitag kam über die Presseagenturen, dass das dortige Autonomie-Parlament die Einführung der Ehe für homosexuelle Paare beschlossen hat. Am 1. Oktober tritt das neue Gesetz in Kraft.

Somit hat das österreichische Parlament jetzt ein Zeitfenster von vier Monaten, um gleichstellungsrechtlich mit einer doch sehr dezentral, zwischen Europa und Amerika liegenden arktischen Insel gleichzuziehen, die nach der Antarktis weltweit die dünnste Besiedelungsdichte aufweist. Einem Land, das oft weitab der Diskussionen in anderen Teilen der Welt steht – nicht jedoch bei der Gleichstellung Homosexueller.

Österreich bleibt zurück

Doch es steht zu befürchten, dass das Hohe Haus in Wien auch diese vier Monate verstreichen lassen wird. Derzeit lässt ein westliches Land nach dem anderen gleichgeschlechtliche Eheschließungen zu, Österreich aber bleibt zurück. Weil das hiesige politische System aus eigener Kraft zu derlei wegweisenden gesellschaftspolitischen Entscheidungen nicht fähig ist.

Tatsächlich wurden fast alle menschenrechtlichen Fortschritte für Lesben und Schwule in Österreich durch Höchstgerichtsentscheide oder EU-Richtlinien erzwungen. Richter und Unions-Verwalter waren es, die die Politik machten – nicht die österreichischen Politiker.

Gegen den Mehrheitswillen

Das ist umso problematischer, als sich die Hinweise verdichten, dass der fortgesetzte politische Reformstau dem Mehrheitswillen des Wählervolkes krass zuwiderläuft. Darauf lässt zum Beispiel eine Umfrage des Market-Meinungsforschungsinstituts aus 2014 schließen, laut der 73 Prozent aller Österreicher und Österreicherinnen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare befürworteten.

Auch bei den Über-50-Jährigen (66 Prozent), bei Menschen mit nur Pflichtschulabschluss (81 Prozent) und in Gemeinden mit bis 5.000 Einwohnern (67 Prozent) waren klare Mehrheiten dafür.

Retro-Politik

Somit handelt es sich bei dem auf Druck der ÖVP fortgesetzten Nein der Bundesregierung zur Homo-Ehe in Österreich wohl um unpopuläre Retro-Politik: um ein Auseinanderklaffen von politischer und öffentlicher Mehrheitsmeinung.

Genau das nun würde die Frage der Homo-Ehe, frei nach irischem Vorbild, im Grunde auch in Österreich zu einem geeigneten Thema für die direkte Demokratie machen. Statt zuzuwarten, bis eine höchstgerichtliche Pro-Ehe-Entscheidung fällt – was länger dauern könnte, weil der Europäische Menschenrechtsgerichtshof diese Frage (noch) der politischen Gestaltungsfreiheit der Regierungen überlässt –, könnte eine solche Initiative ein für alle Mal klarstellen, ob das Land bei der Gleichstellungspolitik wirklich zu Westeuropa gehört.

Demagogische Verwerfungen

Natürlich: Österreich bleibt Österreich, mit all seinen demagogischen Verwerfungen. Eine Volksbefragung – oder gar Volksabstimmung – über die Homo-Ehe würde wahrscheinlich einen Rattenschwanz unguter Parallelinitiativen von rechts außen nach sich ziehen. Wenn das Volk schon über die Homo-Ehe befragt werde, warum nicht auch gleich, zum Beispiel, über die Todesstrafe oder aber einen Austritt Österreich aus der Genfer Flüchtlingskonvention, würde es wohl heißen.

Doch auch, wenn allein das gegen eine solche Befragung spricht: Ein Weg aus der gleichstellungspolitischen Lähmung in Österreich wird immer dringlicher. Zumal diese Lähmung ja nicht nur das Thema Heirat umfasst: Zuletzt wurde, auf Druck der ÖVP, zum dritten Mal in Folge eine Verbesserung des Diskriminierungsschutzes Homosexueller abgeblasen. (Irene Brickner, 1.6.2015)