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Mit den Abgasen aus Auspuffen auf Nasenhöhe: Schadstoffbelastete Luft hat Langzeitfolgen. Kohlenstoff wird über die Schleimhäute aufgenommen und in den Körper geleitet.

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Morgens vor einer Schule: Die Straße ist viel zu eng, zumindest aus Sicht der hier herummanövrierenden Eltern. Sie versuchen, mit ihrem Auto möglichst nah ans Eingangstor heranzufahren, um dort ihre Kinder aussteigen zu lassen. Die Fahrzeugkolonne reißt etwa 20 Minuten lang nicht ab. Große SUVs konkurrieren mit schweren Kombis. Und derweil dampfen die Motoren. Es ist jeden Tag dasselbe Schauspiel.

Dicke Luft

Vor Schulen gibt es den Trend zum spritsparenden Kleinwagen weniger. Auch halten es viele ganz offensichtlich für unzumutbar, ihre Kinder per Bus, Rad oder zu Fuß in die Schule zu schicken. Motorisierter Individualverkehr bleibt eben hochbeliebt. Der Luftqualität kommt das selbstverständlich nicht zugute.

Trotz diverser technischer Errungenschaften zur Emissionsbegrenzung treten in zahlreichen städtischen Ballungsräumen noch immer bedenklich hohe Konzentrationen von Feinstaub und anderen Schadstoffen auf. Das Problem ist, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Dauerbrenner.

Welche Langzeitfolgen die Luftverschmutzung für die intellektuelle Entwicklung von Kindern haben kann, zeigt eine vom Online-Fachjournal PLoS Medicine (Bd. 12, e101792) veröffentlichte Erhebung. Ein spanisches Forscherteam analysierte die Lernfortschritte von insgesamt 2.715 Sieben- bis Zehnjährigen an 39 Schulen in Barcelona über einen Zeitraum von einem Jahr hinweg und verglich diese Daten mit in den Klassenzimmern vorherrschenden Schadstoffkonzentrationen.

Erfasst wurden sowohl Stickstoffdioxid als auch Feinstaub und Kohlenstoffpartikel. "Diese sehr kleinen Teilchen verhalten sich wie ein Gas", erklärt Studienleiter Jordi Sunyer. Dementsprechend leicht können sie auch in Räume eindringen und vom Körper aufgenommen werden.

Die untersuchten Kinder waren nicht überall den gleichen Belastungen ausgesetzt. In manchen Schulen herrschte buchstäblich dicke Luft, in anderen wiederum hielten sich die Schadstoffmengen in Grenzen. Die höchsten Werte lagen um ein Vier- bis Sechsfaches über den niedrigsten gemessenen Konzentrationen. Erwartungsgemäß spielte dabei die Entfernung zu stark befahrenen Straßen eine entscheidende Rolle.

Schulen stehen oft in der Nähe von Hauptverkehrsadern, erläutert Jordi Sunyer, "das ist nicht nur in Barcelona der Fall, sondern auch in vielen anderen Großstädten". Einer der Gründe sei der geringere Preis für Bauflächen. Doch da wird offensichtlich am falschen Ende gespart.

Geht ins Gehirn

Zusammen mit seinen Kollegen untersuchte Sunyer, der als Wissenschafter am Umweltforschungsinstitut CREAL tätig ist, die Entwicklung der Schüler anhand von spielerischen Computertests. Am Anfang der Studie und danach alle drei Monate wieder traten die Kinder zu einer Serie von vier Sitzungen an. Gemessen wurden die Leistung des Kurzzeitgedächtnisses, die längerfristige Aufnahmefähigkeit und das Konzentrationsvermögen.

Parallel dazu führte das Team in den Klassenzimmern und Schulhöfen Schadstoffmessungen durch. Die Forscher unterzogen die so gewonnenen Daten einer umfassenden statistischen Analyse. Auch andere mögliche Einflussfaktoren wie der Bildungshintergrund der Eltern und das Wohnumfeld fanden dabei Berücksichtigung.

Die Auswertungen ergeben ein beunruhigendes Bild. Schon zu Beginn der Erhebung zeigten Mädchen und Buben aus Schulen mit stark belasteter Luft einen gewissen Entwicklungsrückstand. Im Vergleich zu ihren weniger vom Verkehrsqualm geplagten Altersgenossen waren diese Kinder schon von Anfang an im Nachteil - nach minimal nur sechs Monaten Anwesenheit in der jeweiligen Lehranstalt.

Entzündungen im Körper

Ein Jahr später hatte sich die Kluft weiter vergrößert. Zwar stiegen für sämtliche Schüler die durchschnittlichen Leistungen, aber eben nicht bei allen gleich stark. In Bezug auf das Kurzzeitgedächtnis betrug die Differenz sogar bis zu 13 Prozent. Am stärksten ist den Berechnungen zufolge der Einfluss von Kohlenstoffteilchen. Und die stammen in Barcelona fast ausschließlich aus Dieselmotoren, wie Jordi Sunyer berichtet.

Über die möglichen physiologischen Ursachen für die Beeinträchtigungen geben bereits vorliegende Ergebnisse von Tierversuchen Auskunft. Es gibt verschiedene Mechanismen, erklärt der Mediziner Sunyer. Ein Teil des Drecks wird über die Nasenschleimhaut oder über die Lungen ins Blut aufgenommen.

Gerade die ultrafeinen Partikel scheinen danach der Blut-Hirn-Schranke schaden zu können, was wiederum zu Entzündungsprozessen im Gehirn führt. Aber auch eine allgemein hohe Konzentration von Schadstoffen im Körper löst solche Reaktionen aus. Fachleute bezeichnen dies als eine systemische Entzündung. Sie kann auf niedrigem Niveau bestehen bleiben und dennoch das zentrale Nervensystem stören.

Je mehr Autos, umso dreckiger

Die gesellschaftliche Bedeutung des Themas darf nicht unterschätzt werden, meint Jordi Sunyer. "Die Entwicklung des Gehirns entscheidet über die Zukunft der Kinder" - gerade im Grundschulalter. Durch die andauernde Beeinträchtigung der Lernfähigkeit könne bis zum Eintritt der Pubertät ein erheblicher Rückstand entstehen. Problematisch sei auch, dass der Nachwuchs gerade dann in der Schule ist, wenn das stärkste Verkehrsaufkommen herrscht. "Wir müssen also die Luftverschmutzung in unseren Städten besser unter Kontrolle bekommen." Stark belastete Schulen könnten zudem mit Klimaanlagen und Filtersystemen ausgestattet werden.

Anders als in vielen anderen Metropolen werden in Barcelona allerdings nicht vor allem die sozial Schwächeren von dicker Luft heimgesucht, die höchsten Schadstoffkonzentrationen maßen Sunyer und seine Mitstreiter im schicken Innenstadtviertel Eixample. "Dort, wo die reichen Leuten leben."

Mit den Abgasen aus Auspuffen auf Nasenhöhe: Schadstoffbelastete Luft hat Langzeitfolgen. Kohlenstoff wird über die Schleimhäute aufgenommen und in den Körper geleitet. (Kurt de Swaaf, 30.5.2015)