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Demonstranten in Mexiko-Stadt verbrennen Flaggen und Wahlplakate politischer Parteien.

Foto: AP/Eduardo Verdugo

Enrique Hernández war die Nummer vier. Der Bürgermeisterkandidat für die linke Partei Morena hielt in Yurécuaro, einem Dorf im Bundesstaat Michoacán, eine Wahlkampfveranstaltung ab. Als sie zu Ende ging, erschossen ihn Auftragskiller aus einem vorbeifahrenden Auto. Hernández war Chef der örtlichen Selbstschutzgruppen, die sich gegen die Drogenmafia, korrupte Politiker und Polizisten erhoben hatten. Die Nummer drei gehörte der Regierungspartei PRI (Partido Revolucionario Institucional) an und starb in Tabasco. Die Nummern eins und zwei waren Politiker des PRI und der Linkspartei PRD (Partido de la Revolución Democrática): Auch sie wurden ermordet.

"Das hier ist ein Pulverfass", resümiert der Bürgermeister von Chilapa in Guerrero, Francisco García. Er wurde von bewaffneten Bürgerwehren verjagt. Laut Medien handelte es sich um Dispute zwischen Drogenkartellen.

Wer bei wem im Sold steht, ist undurchsichtig. Die Wahrheit bleibt fast immer im Dunkeln. Journalisten, die sie aufdecken, werden ermordet. Die Justiz ist machtlos oder unfähig: 96 Prozent der Straftaten bleiben ungesühnt.

Angesichts dieses Panoramas steht das Urteil der Mexikaner über Staat und Politik längst fest: Alle sind korrupt. In Guerrero rufen linke Basisbewegungen zum Boykott auf. Im Rest des Landes greift Apathie um sich, und erneut sieht es so aus, als könne der Sieger am 7. Juni die Stimmenthaltung sein: Politologe José Antonio Crespo rechnet mit 60 Prozent.

Das ficht die Parteien jedoch nicht an. Da alle mehr oder weniger das Gleiche versprechen, locken sie die Wähler mit Fußballspielern, Clowns und TV-Stars auf den Listen an. Doch vorrangig geht es darum, den Gegner zu diskreditieren. Das Spektrum dabei ist groß: abgehörte Telefonate, Fotos aus dem Internet, gekaufte Richter oder diffamierende Wahlwerbung.

Beinahe grotesk mutet das Spektakel der demokratischen Selbstdemontage an. Doch es hat Kalkül: Obwohl es sich nur um Mid-Term-Wahlen, also die teilweise Erneuerung des Kongresses und Regional- und Lokalwahlen handelt, wird die Macht landesweit neu austariert, wie der Politologe Rubén Aguilar anmerkt. Und der regierende PRI dürfte zwar das beste Ergebnis einfahren, doch einige Hochburgen sind gefährdet - was die Regierungsfähigkeit beeinträchtigen könnte.

Erstmals dürfen unabhängige Bürgerkandidaten antreten. Insgesamt sind es 22 - zum Teil hehre Gestalten wie der 25-jährige Student Pedro Kumamoto, der sich im Bundesstaat Jalisco um ein Mandat bewirbt. Auch in der Hauptstadt bewerben sich Neulinge.

Desolates Politpanorama

Kleinere Parteien wie die Grünen, die Lehrerpartei Panal oder Nueva Alianza gelten als Mehrheitsbeschaffer des PRI; neue Parteien wie Morena werden von Altpolitikern des PRD angeführt.

Angesichts des desolaten Panoramas haben sich Bürger organisiert und Initiativen gestartet wie die Website www.candidatotransparente.mx, auf der die Kandidaten ihre Steuererklärungen öffentlich machen können. Viel Anklang hat die Seite nicht gefunden - von mehr als 10.000 Kandidaten haben das rund 230 getan. "Mexikos Problem ist eine fest verankerte Kultur der Korruption und Freunderlwirtschaft", sagt Aguilar.

Es ist die Kultur des PRI, der Partei, die aus einem Pakt der Caudillos der mexikanischen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts hervorging und das Land bis zum Jahr 2000 autoritär regiert hatte. Doch Mexiko hat sich verändert: 44 Prozent der Mexikaner lehnen Umfragen zufolge den PRI und seine Methoden ab, sind von den Alternativen aber ebenso enttäuscht.

Einige Nachbarstaaten haben schon Auswege vorexerziert, wie der Historiker Alberto Olvera anmerkt: "Entweder eine populistische Lösung an den Urnen oder eine autoritäre Wende von oben." (Sandra Weiss aus Puebla, DER STANDARD, 30.5.2015)