Im Wiener "Karls Garten" können Gartenfreunde verweilen und lernen.

Foto: Karls Garten

Nachbarschaftliches Pflanzen und Ernten gibt es nun auch im 19. Bezirk.

Foto: www.gartenunser-döbling.info

Gemeinschaftsbeet im "Garten unser", dem ersten Grätzel-Garten in Döbling.

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Wien – Die einen sammeln gerne Briefmarken, die anderen gießen lieber die Kräuter auf dem Fensterbrett oder pflegen die Tomatenpflanzen auf dem Balkon. Und wer es gemeinschaftlicher mag, geht hinaus auf die Straße und gartelt im öffentlichen Raum. Die Motivation fürs urbane Gärtnern geht über das Hobby hinaus. Sie kann von der politischen Haltung, sich den städtischen Freiraum anzueignen, über die Möglichkeit der Selbstversorgung bis zum Bedürfnis, den Ursprung von Lebensmitteln kennenzulernen, reichen.

Der weltweite Trend machte vor Wien nicht halt: 2008 wurde der erste Nachbarschaftsgarten in der Heigerleinstraße im 16. Bezirk gegründet, 2015 gibt es bereits rund 60 solcher Community-Gardens. Neben Grätzelinitiativen entstanden gemeinnützige Vereine, die gemeinschaftliches Gärtnern mit sozialen, integrativen oder pädagogischen Aspekten verbinden – etwa der Verein Gartenpolylog oder die City Farm Schönbrunn.

Garteln und forschen

Der Verein "Karls Garten" zur Förderung urbaner Landwirtschaft verbindet auf dem Areal rund um die Kunsthalle Wien-Karlsplatz "Verweilen, Schauen und Lernen" mit Forschung. Die Ergebnisse aus dem ersten Forschungsjahr sind beruhigend: In den Substraten der Hochbeete fanden sich keine Spuren von Schwermetallen. Der exponierte Standort ermöglicht etwa auch Studien über Feinstaubablagerungen auf Blättern und deren Verhinderung.

"Karls Garten" versteht sich aber auch als Kompetenzzentrum, denn die Stadt mache es Interessierten nicht immer leicht, öffentliche Flächen zu nutzen, sagt Projektleiterin Simone Rongitsch. Das Prozedere sei bürokratisch, und es mangle an Anlaufstellen: "Dass sie einen Verein gründen müssen, um zu gärtnern, ist für viele bereits eine Barriere. Je niederschwelliger das Angebot, desto mehr Leute wären bereit dazu."

Bürokratie schreckt ab

Michael Roser, Vereinsobmann des Döblinger Gemeinschaftsgartens "Garten unser", kann sich vorstellen, dass Interessierte vor dem Aufwand zurückschrecken: "Es braucht viel Engagement und ist langwierig." Die Umsetzung von "Garten unser" dauerte rund zwei Jahre.

Bürokratie ortet auch Rüdiger Maresch, Verkehrs- und Umweltsprecher der Grünen Wien. Er tritt für eine zentrale Bewilligungsstelle ein, über die Nutzung, Haftung und Versicherung geklärt werden können. Das ist eine der Forderungen, die aus einer von ihm in Auftrag gegebenen Studie hervorgehen, die den Status quo urbaner Landwirtschaft in Wien beleuchtet.

Förderungen nach Flächendichte

Maresch zufolge müssten auch die Förderschienen adaptiert werden. Die derzeitige Förderung von 3.600 Euro für einen Nachbarschaftsgarten pro Bezirk sei für manche Bezirke zu wenig, für andere zu viel. Rongitsch vom Verein "Karls Garten" plädiert dafür, Förderungen nach Flächendichte zu vergeben.

Für mehr Gemüse- und Obstanbau sowie weniger Bürokratie soll – geht es nach Maresch – künftig eine städtische Agentur sorgen. Sie soll potenzielle Gärtner und geeignete, auch nur temporär nutzbare, Flächen zusammenbringen. Die Stadt müsse zudem aktiv Flächen bereitstellen, anstatt darauf zu warten, dass die Bevölkerung anfragt. Maresch fordert eine neue Widmungskategorie "Stadtlandwirtschaft".

Kompromisse finden

Die Kritik der Bürokratie kann man im Büro von Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) nicht nachvollziehen. Mit dem Gartentelefon der MA 42 sei eine Anlaufstelle gegeben, die gut funktioniert und mit Know-how unterstützt, sagt eine Sprecherin: "Der Erfolg gibt uns recht." Flächen zum Garteln zu öffnen hieße aber immer auch, sie anderen Nutzungsformen – etwa Hundezonen oder Spielplätze – wegzunehmen; man müsse Kompromisse finden.

Urban Gardening ist nicht nur rot-grünes Thema; zunehmend öffnen sich auch VP-regierte Bezirke dafür. Dass es im 13. Bezirk noch keinen Nachbarschaftsgarten im öffentlichen Raum gibt, führt Bezirksvorsteherin Silke Kobald darauf zurück, dass der Bedarf bereits durch ausreichenden Grünraum sowie die privaten Selbsterntefelder gedeckt sei. Der Bezirk bewerbe das Thema zwar nicht aktiv, wolle aber "gerne jeden Wunsch in diese Richtung unterstützen", so Kobald.

Die Reaktionen auf das erste Community-Garden-Projekt im 19. Bezirk, "Garten unser", seien laut Vereinsobmann Roser durchwegs positiv gewesen.

"Essbarer" Musterbezirk

Die Josefstadt, wo es bereits drei Grätzelgärten gibt, ist einem weiteren Vorschlag Rüdiger Mareschs nicht abgeneigt. Er will einen Musterbezirk für die "essbare Stadt" umsetzen, also Freiflächen mit Obst und Gemüse zum Pflücken bepflanzen und dabei Biodiversität und Klimaschutz berücksichtigen. Vorbild ist die "essbare" deutsche Stadt Andernach.

Überall ernten zu können sei vielleicht übertrieben, sagt Bezirksvorsteherin Veronika Mickel (ÖVP). Sie fordert aber von der Stadt ein Bekenntnis zu mehr Biodiversität. Wien müsse außerdem das Pflanzen von Obstbäumen ermöglichen, was derzeit mit oft "skurrilen Begründungen" wie etwa Rutschgefahr verboten werde. (Christa Minkin, 30.5.2015)