Unterkühltes Eigenheim bei Ibsen (v. li.): Gunhild (Birgit Minichmayr), John Gabriel (Martin Wuttke), Ella Rentheim (Caroline Peters), Erhard (Max Rothbart) und Fanny Wilton (Nicola Kirsch).

Foto: Reinhard Maximilian Werner

Wien – Henrik Ibsens Antikapitalismusdrama John Gabriel Borkman (1896) zeigt einen an seinen finanziellen Visionen zugrundegehenden Mann, zurückgeworfen in die Mansarden seines Hauses nahe Oslo. Dort ertränkt seine Gattin – zu ebener Erde – die Schmach über den nunmehr beschmutzten Namen "Borkman" im Alkohol. Man wünscht den real existierenden österreichischen Familien mit ähnlichem Dilemma ein friedlicheres Dasein.

Nordischer Magier

Bankier Borkman (Martin Wuttke) hatte mit dem Geld seiner Anleger zu hoch gepokert und ging dafür fünf Jahre lang ins Gefängnis. Die Öffentlichkeit hat den Skandal ausgeweidet. Frau Borkman (Birgit Minichmayr) lässt seither die Jalousien nicht mehr hoch. Sohn Erhard (Max Rothbart) kam in dieser familiär unfriedlichen Zeit zu Tante Ella, die seine zweite Mutter wurde. Nun – es sind mittlerweile 15 Jahre vergangen – steht Ella Rentheim (Caroline Peters) wieder vor der Tür und nimmt Kontakt mit ihren geschlagenen Verwandten auf, denen sie aus eigenem Vermögen nicht zuletzt das Eigenheim gerettet hat.

Das Drama des "nordischen Magiers" Ibsen, dessen Werke von einem zutiefst tragischen Weltbild durchdrungen sind, ist im Akademietheater eine spaßige Angelegenheit. Der australische Regisseur Simon Stone hat das Stück genau gelesen und sich darin auf einen denkwürdigen Satz im zweiten Akt eingeschworen: "Doch wenn man es von einer anderen Seite betrachtet, so ist es wahrhaftig auch so etwas wie eine Komödie."

Diese vom Titelhelden selbst ausgesprochene Lesart nützt der Regisseur als Ticket für eine Boulevardkomödie à la Yasmina Reza. Die Koproduktion des Burgtheaters mit den Wiener Festwochen und dem Theater Basel machte bei der Premiere am Donnerstagabend ganz dem Entertainment Platz. Die Buhrufe für diese "Gotteslästerung" an einem europäischen Tragikklassiker wurden beim Schlussapplaus von Jubelstimmen aber deutlich übertönt.

In dem in Pulverschnee versinkenden Eigenheim (Bühne: Katrin Brack) erheben sich die Spieler wie Kaltblüter und stöbern darin nach ihren wenigen Requisiten (z._B. Aschenbecher). Birgit Minichmayr lässt einer hysterischen Bankiersgattin freien Lauf und übertreibt es bisweilen mit ihrer Kippstimmkompetenz.

Wiederentdeckung des Mammuts

Als langhaariger Clochard markiert Martin Wuttke einen Ex-Bankier als Höhlenmenschen, einen Mann der "Urform" (ungewaschen, grantig, größenwahnsinnig), der an der Wiedererweckung des sibirischen Mammuts televisionär ausgiebig Anteil nimmt, als handle es sich um seine eigene, recht unwahrscheinliche Wiedergeburt als Starbanker.

Der Dialog mit Freund Foldal (Roland Koch) ist dabei ein köst liches Selbstbemitleidungsspiel. Grandios und ernsthafter als alle: Caroline Peters in der Rolle der Ella Rentheim, die im Spaßbetrieb dieses radikal neu getexteten Theaterstücks als Einzige dem alten Ibsen und seiner tragischen Tiefe verpflichtet bleibt.

Simon Stone hat John Gabriel Borkman völlig neu ausgerichtet, der Text steckt voller Slang und Haudrauf-Prosa, als wär’s eine Telenovela. An Ironie lässt es der Regisseur nicht mangeln (er überzeugte bei den Festwochen bereits 2013 mit einer Wildente im Plexiglaskasten). Von Ibsen bleibt in dieser auf das Familiendilemma, das Private der Borkmans und Rentheims heruntergebrochenen Neufassung nur das Plotgerüst übrig. Insbesondere sprachlich heißt es, sich an den Lehnen festzuhalten ("Halt die Fresse!", "Du psychopathisches Arschloch!"). Auch wich der Geldphantasma topos der ganz normalen Familienhölle (Ibsen entwarf Borkman als einen neumodernen Alchemisten, der als Bergarbeitersohn das Erz im Inneren singen hört, so wie er das Geld sieht, bevor es da ist.)

Der Abend wurde so – trotz seiner im Bühnenbild schön umgesetzten Humangefrierkunst – zu einer verwechselbaren, die Geschlechterrollen stereotyp zementierenden Boulevardkomödie. (Margarete Affenzeller, 29.5.2015)