Markus Wallner (links) und Johannes Rauch denken über die Legislaturperiode hinaus. Spätestens 2025 soll es die gemeinsame Schule geben.

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STANDARD: Warum wollen Sie das Schulsystem verändern?

Wallner: Unsere Vision ist ein Bildungssystem zu bauen, das allen Kindern gerecht wird: Schwächere fördert, auf der anderen Seite aber auch zu Spitzenleistungen herausfordert, denn unserer Wirtschaft fehlen Fachkräfte. Das vorliegende Forschungsprojekt zeigt, dass es Handlungsbedarf gibt. Auf zwei Defizite im System wird besonders hingewiesen: Mängel bei der Begabtenförderung und mangelnde Chancengerechtigkeit. Die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen wird nicht alle Probleme lösen können, aber mithelfen, ein chancengerechtes und dennoch leistungsorientiertes System zu schaffen.

Rauch: Die gemeinsame Schule hat eine starke soziale Komponente. Wenn es uns gelingt, mit diesem Projekt eine Weichenstellung im Bildungssystem zu erreichen, dann hat das gesellschaftliche Auswirkungen. Gelingt es nicht, laufen wir sehenden Auges in ein weiteres Auseinanderklaffen unserer Gesellschaft hinein.

STANDARD: Als die Grünen noch in der Opposition waren, haben sie das Forschungsprojekt abgelehnt.

Rauch: Ja, wir haben es sehr kritisch betrachtet. Wir dachten, es käme ohnehin nur raus, was die ÖVP will. Wir haben uns getäuscht. Das Ergebnis ist eine klare Empfehlung für eine gemeinsame Schule. Wir haben durch diese Studie gelernt, dass es für eine Systemänderung eine intensive Vorbereitung und eine längere Umstellungsphase braucht.

Wallner: Die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass die politische Debatte in den ideologischen Schützengräben zu gar nichts geführt hat. Ich habe sehr für dieses Forschungsprojekt gekämpft, weil wir dadurch die Chance haben aufzuzeigen, welche Veränderungen notwendig sind.

STANDARD: Wie reagiert die Bundes-ÖVP auf die angekündigte Schulreform, Herr Landeshauptmann?

Wallner: Es ist Bewegung da. Das Nein zur gemeinsamen Schule war bis vor kurzem in Stein gemeißelt. Dieses ganz strikte Nein ist deutlich gelockert. Der Bundesparteiobmann hat eine gewisse Positionsänderung vorgenommen. Er hat signalisiert, dass er offen für eine Modellregion ist, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen sind.

STANDARD: Die Expertengruppe empfiehlt eine flächendeckende Systemumstellung, und keinen Schulversuch. Hat Sie das überrascht?

Rauch: Nicht wirklich. Denn ein Einzelexperiment wäre nur sehr schwer umzusetzen und wenig erfolgreich. Die logische Schlussfolgerung ist, das ganze Bundesland zur Modellregion zu machen.

Wallner: Bei der Regierungsbildung gingen wir noch von einem Schulversuch aus. Die Forschungsgruppe empfiehlt nun eine mehrjährige Umstellung des Systems. Das braucht Unterstützung von allen Seiten. Bekommen wir die, können wir in acht bis zehn Jahren ein besseres Bildungssystem haben. Für einen klassischen Schulversuch hätten wir ein Gymnasium als Partner gebraucht, das hätten wir wahrscheinlich nicht gefunden. Denn den Widerstand in diesem Bereich gibt es, das soll man nicht verschweigen.

STANDARD: Wollen Sie das Gymnasium abschaffen, wie Kritiker behaupten?

Rauch: Wenn man sich auf diese Diskussion einlässt, kommt man zu keinem Ergebnis. Wir gehen den seriösen Weg, richten uns darauf ein, dass die Vorbereitungen acht bis zehn Jahre dauern. Wir bilden jetzt eine Steuerungsgruppe aus Expertinnen und Experten, die bis zum Herbst Vorschläge zu den rechtlichen Rahmenbedingungen und zu den finanziellen Voraussetzungen macht. Am Ende, nach acht bis zehn Jahren, steht die Umstellung, dann gibt es die gemeinsame Schule. Das heißt, dass es das Gymnasium in der heutigen Langform vermutlich nicht mehr geben wird.

Wallner: Wir kämpfen gemeinsam darum, dass man Bildungspolitik nicht mit Überschriften betreibt. Die organisatorische Fragestellung steht am Ende eines Prozesses, nicht am Beginn. Jetzt müssen wir das Innenleben der neuen Schule entwickeln, in die Tiefe gehen. Pädagogik, Ganztagsschulangebote, Schulautonomie, Finanzierung und einiges mehr.

STANDARD: Welche Erwartungen haben Sie an den Bund?

Wallner: Es ist ja nicht so, dass der Bund nichts getan hätte. Die gemeinsame Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen in der Sekundarstufe I wurde auf den Weg gebracht, in Fragen der Schulautonomie wiederum wird gerade ein Konzept erarbeitet. Derzeit brauche ich den Bund eigentlich nicht. Wir sind zufrieden, wenn wir jetzt einmal in Ruhe arbeiten können. Ich wünsche mir aber, dass es auf Bundesebene ein paar Leute gibt, die unsere zwei Forschungsbände genau lesen.

Rauch: Eine einmalige Situation bei uns im Land ist, dass alle Parteien für die gemeinsame Schule sind, auch die Wirtschaft, die Elternverbände, ein Großteil der Lehrerinnen und Lehrer. Mein Appell an Nationalrat und Bundesregierung: Lasst es zu, dass wir uns auf den Weg machen. Mit allen Konsequenzen. (Jutta Berger, 29.5.2015)