Die Pensionsdebatte sei ein Eiertanz um das Schlagwort "Antrittsalter" – welche Rahmenbedingungen aber tatsächlich verändert werden müssten, damit ältere Arbeitnehmer länger im Erwerbsleben bleiben, diese Frage werde galant umschifft: Das war der Tenor bei einer Diskussionsveranstaltung an der Universität Wien, bei der am Mittwoch unter dem Motto "Länger arbeiten, später in Pension – Was wissen wir wirklich?" Pensionsexperten Stellung bezogen.

Für Jörg Flecker, Soziologie-Professor an der Universität Wien, ist in Österreich ein "engstirniger Automatismus der Einprägung" am Werk: "Länger arbeiten erscheint nicht mehr als politische Entscheidung, sondern aus unausweichliche Notwendigkeit." Wer stattdessen über alternative Finanzierungen für das Pensionssystem nachdenke, werde in der Debatte gar nicht mehr ernst genommen.

"In manchen Bereichen geht es zwar in die richtige Richtung, etwa bei der Einführung der verpflichtenden Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsmarkt", meint Flecker. Die Frage bei solchen Maßnahmen sei aber immer, mit welcher Konsequenz sie umgesetzt werden. "Und Länder wie Finnland, die heute als Vorbild dienen, haben mit den notwendigen Reformen schon vor 30 Jahren begonnen."

Arbeitsbedingungen entscheiden

Laut Ingrid Mairhuber von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt hängt die Entscheidung, wie lange man arbeitet und wann man in Pension geht, von sehr vielen Faktoren ab. Nicht immer seien Leistbarkeit und Arbeitsplatzsicherheit die wichtigsten. "Es geht zum Beispiel um die eigene Gesundheit, psychische und körperliche Belastungen am Arbeitsplatz, Tätigkeit und Gesundheitszustand des Partners und Verpflichtungen wie die Pflege von Angehörigen."

Das alles seien Gründe, warum bei Befragungen ein großer Unterschied zwischen dem gewünschten Pensionsantrittsalter und dem tatsächlichen zutage trete. So waren in einer europaweiten Studie, in der ältere Beschäftigte gefragt wurden, welche Maßnahmen wichtig wären, damit sie länger im Erwerbsleben bleiben, flexible Arbeitszeiten, schonendere Arbeitsbedingungen und weniger Stress die meistgenannten Antworten.

Das bestätigt auch Christine Mayrhuber, Ökonomin am Wirtschaftsforschungsinstitut. Sie zitiert eine EU-weite Studie, wonach ein Drittel aller Nichterwerbstätigen zwischen 50 und 69 sagen, sie hätten gern noch länger gearbeitet. Speziell in Österreich gebe es ein großes Potenzial an Erwerbsfähigkeit, das nicht gehoben wird. Dagegen herrsche ein hoher Grad an Inaktivität. Über alle Arbeitnehmer hinweg liege die österreichische Inaktivitätsquote im EU-Durchschnitt, bei den 50- bis 64-Jährigen hingegen weit darüber.

Starkes Wachstum bei älteren Arbeitnehmern

Josef Wöss, Sozialexperte der Arbeiterkammer Wien, betonte, beim Thema ältere Arbeitnehmer müssten auch demografische Entwicklungen berücksichtigt werden. Die Gruppe der 55- bis 64-Jährigen sei in Österreich zwischen 2000 und 2015 um 17 Prozent gewachsen, bis zum Jahr 2030 erwartet das Europäische Statistikamt Eurostat einen Anstieg um weitere 42 Prozent. In Deutschland hingegen, dessen Gesamtbevölkerung laut Prognose bis 2030 um 15 Prozent schrumpfen wird, beträgt das Plus in diesem Alterssegment nur sechs Prozent. Die Gründe: Deutschland habe schon heute eine deutlich ältere Gesellschaft und eine geringere Migration.

Auch Wöss kritisiert den starken Fokus auf das Antrittsalter. "Wir müssen uns auf Bildung konzentrieren, auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Gesundheitsmaßnahmen und Arbeitsbedingungen." Manches wende sich zwar zum Besseren, etwa bei der Vereinbarkeit. In der öffentlichen Diskussion "rollt aber eine Lawine in eine Richtung: Das Antrittsalter muss rauf, die Pensionen runter."

Kritik an fehlenden Anreizen

Einen anderen Aspekt bringt Wolfgang Frimmel, Assistenz-Professor am Institut für Volkswirtschaft der Universität Linz, ein: Die Rolle von einzelnen Firmen werde unterschätzt. Das zeige etwa eine Studie über Unternehmen aus der österreichischen Maschinenbau-Industrie. Vergleichbare Betriebe hätten dabei ganz unterschiedliche durchschnittliche Antrittsalter vorzuweisen.

Das sogenannte Experience Rating, bei dem Firmen oder ganze Branchen mit höherem Anteil von Frühpensionen an den Folgekosten stärker beteiligt werden, sieht er als effektiven Anreiz, ältere Arbeitnehmer länger zu behalten. Auch eine Abflachung der altersbezogenen Lohnkurven könnte dazu beitragen, dass Arbeitnehmer nicht frühzeitig "abgeschoben" werden, etwa in die Altersteilzeit.

Auch eine generelle Arbeitszeitverkürzung müsse man in Zukunft andenken, war sich das Podium einig. Laut Mayrhuber herrscht eine sehr ungleiche Arbeitsmarktintegration der Erwerbsbevölkerung und eine Polarisierung der Arbeitszeit. Sie plädiert für eine gleichmäßigere Verteilung. (Simon Moser, 28.5.2015)