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Fifa-Präsident Joseph Blatter verantwortet Chaos im eigenen Stall. Er selbst sei "entspannt" und die Fifa froh über den Aufräumprozess, hieß es seitens eines Sprechers am Mittwoch.

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Hotelangestellter in der Nobelherberge "Baur au Lac" am Zürichsee müsste man sein. Da steht man manchmal am Seiteneingang und hält ein Leintuch hoch, damit niemand erkennen kann, welcher Fifa-Funktionär dahinter von der Polizei in ein Auto und also letztlich in die Auslieferungshaft verfrachtet wird.

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Fifa-Präsident Blatter und Fifa-Vizepräsident Webb standen einander schon näher als nun, da Webb in Haft sitzt.

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Zürich, Mittwochmorgen. Gegen 5.30 Uhr rücken Kantonspolizisten in das Hotel Baur au Lac ein. Das Bundesamt für Justiz schickt die "Kapos". Ihr Auftrag: Sie sollen in der Nobelherberge am Zürichsee sieben Top-Funktionäre des Weltfußballverbandes Fifa festnehmen - wegen Bestechungsverdachts in Höhe von mehr als 100 Millionen US-Dollar. Die spektakuläre Aktion steigt zwei Tage vor der geplanten Wiederwahl des Fifa-Präsidenten Joseph Blatter.

Die Polizisten führen die Funktionäre durch einen Seitenausgang ab - hinter Leintüchern, die Hotelangestellte hochhalten. Die Festgenommenen kommen in Auslieferungshaft. In den USA warten Strafverfahren. Am selben Morgen steuern Beamte der Schweizer Bundesanwaltschaft den pompösen Hauptsitz der Fifa hoch über Zürich an. Sie stellen im "Home of Fifa" elektronische Daten und Dokumente sicher. Es geht um den Verdacht der Bereicherungen und der Geldwäscherei rund um die seit jeher umstrittenen Vergaben der Fußball-WM-Endrunden 2018 in Russland sowie 2022 in Katar.

Schock im System Blatter

Es ist ein Mittwoch, der als ein schwarzer Tag in die Geschichte der 1904 gegründeten Fifa eingeht. Der Doppelschlag von Zürich erschüttert die Fußballwelt. Der brasilianische Fifa-Experte Jamil Chade wäre nicht verblüfft, wenn "das Ende von Sepp Blatter als allmächtiger Fifa-Präsident eingeläutet wird". Sepp Blatter. Das ist der jovial wirkende 79-jährige Schweizer aus dem Wallis. Er verkörpert wie kein anderer ein System der Günstlingswirtschaft. Blatters Untergebene aber versuchen noch einmal, die filmreifen Polizei- und Justizeinsätze, die Machenschaften der Bosse, all die Peinlichkeiten runterzuspielen. Zur Verfassung seines Chefs sagt Fifa-Kommunikationsdirektor Walter De Gregorio auf einer Pressekonferenz Mittwochmittag: "Er ist relaxed." Der Stressfaktor sei "etwas höher als gestern".

Wahl am Freitag

Der geplante Fifa-Kongress werde selbstverständlich diese Woche in Zürich stattfinden, und Blatter, seit 1998 im Amt, werde sich natürlich am Freitag zur Wahl für die fünfte Periode stellen. Der "Präsident", so hält De Gregorio fest, sei ja nicht festgenommen worden und in die Vorfälle "nicht involviert". De Gregorio: "Nichts wird uns stoppen." Blatter setzt bei der Wahl auf seine Gefolgsleute in 209 Verbänden, vor allem aus Lateinamerika, der Karibik und Afrika. Blatters verbliebener Gegenkandidat, der jordanische Prinz Ali bin Al Hussein, dürfte Morgenluft wittern.

Bis Dienstag galt der Prinz eigentlich nur als Zählkandidat. Auch die Unterstützer des letzten Gegenkandidaten, zumal in den europäischen Fußballverbänden, hoffen auf einen Stimmungsumschwung in letzter Minute. Man dürfe den Milliarden Fußballfans nicht weiter eine schamlose Gaunerclique im Weltverband zumuten. Besonders schwer wiegen die Vorwürfe gegen die jetzt Festgenommenen. Darunter befinden sich Blatter-Getreue wie Jeffrey Webb, Fifa-Vizepräsident und Boss der Nord- und Zentralamerikanischen und karibischen Fußballkonföderation Concacaf. Die Concacaf-Zentrale in Miami wurde ebenfalls durchsucht. Auch Eugenio Figueredo aus Uruguay kam in Zürcher Auslieferungshaft. Am Abend reagierte die Fifa und suspendierte elf Funktionäre. Betroffen sich u. a. die Vizepräsidenten Webb und Figueredo. Blatter ließ danach verlauten: "Eine schwierige Zeit für den Fußball, seine Anhänger, die Fifa. Solches Verhalten hat keinen Platz im Fußball, wir versichern, dass jene, die verwickelt sind, vom Spiel ausgeschlossen werden."

Bestechungsgelder

US-Behörden hatten auf die Verhaftungen gedrängt. Die für den Bezirk Ost von New York zuständige Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Fußballbosse wegen möglicher Annahme von Bestechungsgeldern und verdeckten Provisionen. Sportmedien und Sportvermarktungsunternehmen sollen Funktionäre mit mehr als 100 Millionen Dollar bestochen haben. Im Gegenzug sollen sie Medien-, Vermarktungs- und Sponsoring-Rechte für Turniere in den USA und Lateinamerika erhalten haben. Das Schmiergeld soll seit Beginn der 1990er fließen.

US-Justizministerin Loretta Lynch machte den Funktionären auf einer Pressekonferenz in New York schwere Vorwürfe. "Sie haben das weltweite Fußballgeschäft korrumpiert, um sich selbst zu bereichern. Sie haben es immer und immer wieder gemacht." FBI-Direktor James Comey fügte hinzu, dass ein "langwieriger Prozess am Anfang" stehe. "Dies so beliebte Spiel wurde gekidnappt."

In dem zweiten Verfahren, das zur Aktesicherstellung am Fifa-Sitz in Zürich führte, wollen Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalpolizei der Schweiz zehn "Personen" vorladen, die als Mitglieder des Exekutivkomitees die WM-Vergaben von 2018 und 2022 mit einfädelten. Die Fifa hatte im November 2014 selbst Strafanzeige gegen unbekannt gestellt - und tritt jetzt als "Geschädigte" auf. Man begrüße die Untersuchungen, erklärte der stoische De Gregorio. Für das Image der Fifa sei der Mittwoch zwar "kein schöner Tag" gewesen. Für die Aufklärung sei er aber ein "guter Tag". Die Uefa fordert indes eine Verschiebung des Kongresses samt Wahl, wie Generalsekretär Gianni Infantino am Mittwochabend in Warschau sagte. (Jan Dirk Herbermann, 27.5.2015)

Hochrangige Beschuldigte:

Gegen 14 Personen werde ermittelt, neun davon gehören oder gehörten zur Fifa, darunter die sieben in Zürich festgenommenen. Diese sind laut US-Justizbehörde folgende Personen:

  • Jeffrey Webb
    (Concacaf-Präsident und Fifa-Vizepräsident, Caymann-Islands-Verbandspräsident)
  • Eugenio Figueredo
    (Ex-Conmebol-Präsident und aktueller Fifa-Vizepräsident, Ex-Verbandspräsident von Uruguay)
  • Eduardo Li
    (Concacaf-Exco-Mitglied, sollte am Wochenende ins Fifa-Exco gewählt werden, Verbandspräsident von Costa Rica)
  • José Maria Marin
    (Fifa-Organisationskomittee für WM 2014 und Olympiaturniere, Ex-Verbandspräsident von Brasilien)
  • Julio Rocha
    (Fifa-Entwicklungsleiter, Verbandspräsident von Nicaragua)
  • Costas Takkas
    (Concacaf-Funktionär)
  • Rafael Esquivel
    (Conmebol-Vizepräsident, Verbandspräsident von Venezuela)

Die weiteren Personen sind Sportvermarkter und TV-Verantwortliche sowie:

  • Nicolas Leoz
    (Ex-Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees und Ex-Conmebol-Präsident)
  • Jack Warner
    (Ex-Fifa-Vizepräsident und Exco-Mitglied, Ex-Concacaf-Präsident, der 2011 wegen Korruptionsvorwürfen in Zusammenhang mit der Vergabe der WM an Katar zurücktreten musste)