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So sieht es in etwa aus, das molekulare System, das die Laborarbeit beschleunigt und eine ethische und patentrechtliche Debatte zur Folge hat: CRISPR/Cas9.

Illu.: picturedesk.com

Wien – Groß war der Medienrummel, als der Genetiker Josef Penninger ein Angebot erhielt, nach Berlin zu gehen. Er sei ein Nobelpreiskandidat, war da zu lesen, gleichsam als Begründung dafür, ihn nicht gehen lassen zu dürfen. Wissenschaftsministerium und Stadt Wien reagierten und machten 22,5 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre flüssig, um den Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) am Vienna Biocenter zu halten und ihm hier mehr Möglichkeiten für seine Forschungen zu geben.

Sechs Jahre zuvor verließ die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, die am Nachbarinstitut des IMBA, den Max F. Perutz Laboratories, beschäftigt war, Wien in Richtung Schweden. Die Medien berichteten keine Zeile: Heute gilt die Französin als eine der kommenden Medizin-Nobelpreisträgerinnen, denn sie hat mit Kollegen eine Revolution in der Genetik möglich gemacht.

Charpentier beschrieb im Zuge ihrer Forschungen an Bakterien ein Abwehrsystem dieser Erreger gegen bestimmten Viren, Bakteriephagen (Bakterienfressen), die in sie eindringen können. Das Enzym Cas9 erkennt nämlich DNA-Moleküle einer fremden Erbinformation und spaltet sie an einer bestimmten Stelle. Dafür braucht es einen molekularen "Steckbrief" , wie es in den Arbeiten von Charpentier heißt. Er liegt in der Gestalt eines RNA-Moleküls vor – gespeichert wird das in den eigenen Genen, die Wissenschafter als CRISPR bezeichnen (Clustered regularly interspaced small palindromic repeats: Regelmäßige Anordnung von kleinen, symmetrischen Wiederholungen) – so wird das CRISPR-Cas-System gebildet.

Mechanismus beschrieben

Das erste Paper, das diesen Mechanismus beschrieb, erschien 2011 im Fachmagazin "Nature". Die Erstautoren waren Charpentiers Studenten Elitza Deltcheva und Krzysztof Chylinski von der Universität Umeå und den Max F. Perutz Laboratories in Wien, die Französin, in diesem Fall Co-Autorin, war zu diesem Zeitpunkt bereits an der Universität Umeå in Schweden.

2011 war es schließlich auch, als Charpentier während einer Konferenz Jennifer Doudna aus dem US-Bundesstaat Hawaii traf. Die Strukturbiologin der University of California in Berkeley arbeitete ebenfalls an CRISPR/Cas9.

Die beiden Wissenschafterinnen beschlossen, eine weitere Arbeit gemeinsam und mit ihren Postdocs Martin Jinek und Krzysztof Chylinski zu schreiben. Dabei wurde ein System entwickelt, das genetische Veränderungen vornehmen kann - nicht nur in Bakterien, sondern in allen Organismen also auch im Menschen. Das war aus mehreren Gründen eine Sensation: Einerseits wird damit die Arbeit im Labor erleichtert. Genmodifizierungen an lebenden Organismen wie Mäusen sind nun gezielt, in kürzester Zeit und deutlich kostengünstiger als je zuvor möglich. "Davor war das ein langwieriger Prozess", sagt Wittgenstein-Preisträgerin Renée Schroeder, Molekularbiologin an den Max F. Perutz Laboratories.

Das CRISPR/Cas9-System scannt die DNA und findet dabei jeden Gendefekt und schneidet genau an dieser Stelle. Danach können neue Gen-Abschnitte und die DNA einfügen, heißt es in einer Aussendung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig in Deutschland. Dorthin hat es Emmanuelle Charpentier 2012 verschlagen, hier ist sie Abteilungsleiterin.

Die Technik lässt Hoffnungen auf neuartige Gentherapien wachsen - Erbkrankheiten könnten damit irgendwann einmal vielleicht sogar geheilt werden. Vor allem Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes werden dabei immer genannt.

Moralische Bedenken

Die Fachwelt diskutiert derzeit darüber, ob das System an Körperzellen oder schon in Keimbahnzellen angewendet werden darf, also in Eizellen und Spermien. Charpentier und Doudna sind gegen ein solches Eingreifen in die Evolution. Andere Wissenschafter wie George Church von der Harvard University meinen aber, dass man gut zehn bis 20 Defekte schon im Embryo erkennen und reparieren könnte.

Auch in China hält man wenig von moralischen Bedenken. Forscher haben kürzlich Aufsehen erregt, indem sie das System an lebenden Embryonen angewandt haben, um einen Defekt, der zur Bluterkrankheit Beta-Thalassämie führen kann, zu reparieren. Charpentier kritisierte die Arbeit bereits in den Medien, andere Wissenschafter sprechen in diesem Zusammenhang sogar von Eugenik, der Förderung von positiv bewerteten Erbanlagen.

Öffentliche Diskussion

Im März dieses Jahres unterschrieben jedenfalls 18 Wissenschafter und Ethiker eine Petition, die zur Vorsicht im Umgang mit dem Wundermittel mahnt. "Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich der Genom Engineering-Bereich entwickelt, fordern wir eine offene Diskussion über die Vorzüge und Risiken dieser Techniken", hieß es da. Renée Schroeder begrüßt diese Initiative im Gespräch: "Ob man Manipulationen in der Keimbahn will oder nicht, man muss darüber eine breite öffentliche Diskussion führen, denn diese Eingriffe sind möglich".

Aber noch ein zweiter Konflikt ist im Zusammenhang mit CRISPR/Cas9 ausgebrochen: Charpentier und Doudna haben die Technologie gemeinsam mit Jinek und Chylinski zum Patent angemeldet. Letzterer ist übrigens noch immer am Vienna Biocenter beschäftigt – und zwar im Bereich Facilities für das CRISPR/Cas-System. Unternehmen wurden gegründet, um die Technik auch kommerziell zu verwerten – zum Beispiel für neue Medikamente, die es bisher noch nicht gibt.

Die Rechte an der Erfindung, die laut dem Magazin "Technology Review" die wichtigste Entdeckung seit Beginn des Biotech-Zeitalters in den 1970er-Jahren ist, sind umstritten. Der renommierte Neurowissenschafter Feng Zhang vom Broad Institute des MIT, beansprucht die Rechte nämlich auch für sich. Seine Patentanmeldung erfolgte freilich sieben Monate nach jener von Charpentier und Doudna, erzählt der Zellbiologe Michael Jantsch von den Max F. Perutz Labs. Die Angelegenheit ist dennoch derart heikel, dass Charpentier im Interview mit dem STANDARD darüber jede Auskunft verweigert.

Worüber sie auch nur zurückhaltend spricht, sind die Gründe ihres Abgangs von den Max F. Perutz Labs in Wien. Sie habe keine Perspektive gesehen. Manche Kollegen aus jener Zeit meinen, man hätte sehen müssen, welches Potenzial in ihr steckte. Charpentier wurde mittlerweile allein 2015 mit vier hoch dotierten Preisen ausgezeichnet - darunter der Louis-Jeantet-Preis für Medizin (gemeinsam mit dem Grazer Fettforscher Rudolf Zechner) und der Breakthrough-Prize (gemeinsam mit Jennifer Doudna).

"Sie gewinnt sehr wahrscheinlich den Nobelpreis - und der wäre auch für die Max F. Perutz Laboratories gewesen, wenn man sie nicht hätte ziehen lassen", ärgert sich Renée Schroeder. Und: "Das ist peinlich. Die Entscheidungsträger sind hierzulande oft nicht in der Lage, Qualität zu erkennen."

Nun habe man zwar Anteile am Patent, aber über den zu erwartenden Nobelpreis dürften sich andere Institute freuen. Als sie den Breakthrough-Prize gewann, hieß es in einer Aussendung der Max F. Perutz Laboratories recht lapidar: "Herzlichen Glückwunsch an unsere ehemalige Gruppenleiterin." (Peter Illetschko, 27.5.2015)