Ein Transvestit, der Präsident der Sinn-Féin-Partei und die irische Justizministerin standen auf dem Podium. Tausende jubelten und johlten im sonnendurchfluteten Hof des Dubliner Schlosses, als die Ergebnisse des Referendums über die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe am Samstag verkündet wurden. Nur ein einziger der 43 Wahlkreise hatte das Vorhaben knapp verworfen, in gewissen Dubliner Vierteln überstieg die Zustimmung neunzig Prozent.

Die Meinungsumfragen hatten zwar ein klares Ergebnis versprochen, doch niemand wagte, wirklich daran zu glauben. Schließlich war die Homosexualität in Irland noch bis 1993 ein krimineller Tatbestand gewesen. Zwei Jahre später stimmte nur eine hauchdünne Mehrheit der Einführung der zivilen Ehescheidung zu. Doch in der Zwischenzeit hat sich die irische Gesellschaft grundlegend gewandelt. Das Votum vom vergangenen Freitag läutete deshalb keine neue Epoche ein, sondern besiegelte die Metamorphose offiziell.

Der Zerfall der moralischen Deutungshoheit der katholischen Kirche beschleunigte diesen Prozess gewiss. Die Wähler sind offenkundig nicht mehr bereit, ethische Imperative von der Kanzel ernst zu nehmen, vor allem, wenn sie das Wohl von Kindern betreffen. Allzu ruchlos hatte die irische Kirche den Missbrauch von Kindern nicht nur geduldet, sondern auch verschleiert. Der aufgeschlossene Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin, kommentierte das Referendumsergebnis mit der Feststellung, seine Kirche benötige einen "reality check", um den Kontakt zur irischen Jugend wiederherzustellen.

Volksnahe Kampagne war erfolgreich

Die Kampagne der Befürworter der Gleichstellung hatte sich durch ihre Vitalität und ihre Basisnähe ausgezeichnet. Sie wurde nicht von den politischen Parteien getragen - deren Zustimmung gelegentlich etwas fadenscheinig wirkte -, sondern von selbsternannten Aktivisten. Sie setzten ganz auf Lebensgeschichten: Schwule und Lesben warben nicht bloß von den Plakatwänden für die Reform, sie klingelten auch an den Haustüren unsicherer Wählerinnen.

Seit das Kartell von Kirche und Staat die Fähigkeit verloren hat, gescheiterte Ehen und abweichende sexuelle Präferenzen zu tabuisieren, reden die Iren miteinander. Aus den Andersartigen und Abweichlern wurden Söhne, Schwestern, Tanten und Neffen. Fast 61 Prozent gingen an die Urne, darunter übermäßig viele junge Leute. Nun sieht sich Irland unverhofft als Pionier, als Regenbogennation, wie die stellvertretende Premierministerin Joan Burton etwas schalkhaft behauptete. (Martin Alioth aus Dublin, 27.5.2015)