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Dieses Foto zeigt den US-amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger John Nash 2011, als er eine Ehrenauszeichnung an der City University of Hong Kong erhielt.

Foto: Reuters / Bobby Yip

Wien - Dramatische Wendungen hat es im Leben des John Nash überreichlich gegeben. Sie begleiteten den Helden des Films "A Beautiful Mind" bis zuletzt - bis zum tödlichen Verkehrsunfall am 23. Mai, auf dem Heimweg von der Verleihung des Abel-Preises, der größten Ehrung für ein mathematisches Lebenswerk.

"Der Mann ist ein Genie", so lautete das lakonische Empfehlungsschreiben, das ihm den Weg an die Elite-Uni von Princeton öffnete, und "der Mann" – ein kaum zwanzigjähriger graduate – ließ nicht lange mit dem Beweis auf sich warten. Damals dominierte in Princeton John von Neumann, ein Multitalent, der Logik, statistische Mechanik, Quantentheorie und Hydrodynamik mit gleicher Leichtigkeit befruchtete und eben den Computer entwickelt hatte. Die neueste Schöpfung John von Neumanns war die Spieltheorie, die er gemeinsam mit Oskar Morgenstern entwickelt hatte, um soziales und wirtschaftliches Verhalten zu analysieren. Praktisch auf Anhieb stellte John Nash die Spieltheorie auf den Kopf, oder besser gesagt, auf die Beine.

Mit seinen Ideen, die "etwas von der Linie (im Sinn von Parteilinie) abwichen", wie er später vermerkte, drang der Student ins Büro John von Neumanns vor. Der ließ ihn gar nicht ausreden. "Ach so, ein Fixpunktsatz", sagte er. "Ist ja trivial." Ende des Interviews. Wenn er damit meinte, dass die Mathematik dahinter recht einfach war, hatte er recht. Aber der Begriff von Nash war fundamental. Er wurde bald als "Nash-Gleichgewicht" bekannt.

Stellen wir uns irgendeine Wechselwirkung vor, an der mehrere Personen beteiligt sind – es kann ein Kartenspiel sein, eine Firmengründung, ein Schusswechsel. Alle Teilnehmer werden versuchen, ein für sie möglichst vorteilhaftes Ergebnis zu erzielen. Das Ergebnis hängt aber auch davon ab, was die anderen tun. Wenn keine Person durch eine Änderung ihres Verhalten ihr Ergebnis verbessern kann, liegt ein Nash-Gleichgewicht vor. Dann hat niemand einen Anreiz, davon abzuweichen. Das erstaunliche ist nun, dass es immer so ein Nash-Gleichgewicht gibt – egal, wie die Wechselwirkung aussieht, wie viele Personen daran beteiligt sind, oder wie die Interessen dieser "Spieler" liegen.

Shooting Star der Spieltheorie

In den frühen 1950er Jahren wurde John Nash zum shooting star der Spieltheorie. So wandte er sich etwa dem Begriff des "gerechten Teilens" zu, das Jahrtausende lang Philosophen beschäftigt hatte, und wies nach, dass aus den allereinfachsten Forderungen ein präzise Vorschrift folgt, gemäß der zu teilen ist. Dass aus anderen, ebenso einleuchtenden Forderungen andere Vorschriften folgen, macht die Sache nur noch interessanter; ebenso, dass die "Nash-Gleichgewichte" sehr wackelig sein können. Man hatte endlich das Werkzeug, um exakt über Interessenskonflikte nachdenken zu können – ob in der Wirtschaft, der Politik oder der Moralphilosophie.

Doch so fundamental die Ergebnisse von Nash auch waren, so blieb die Mathematik relativ einfach. Wie um zu beweisen, dass er auch anders konnte, wandte sich Nash der Geometrie zu. Er bewies einen erstaunlichen Satz über Riemannsche Mannigfaltigkeiten. Solche Räume sind oftmals gekrümmt – so wie etwa ein eingerolltes Blatt Papier. Nash bewies, dass jede Riemannsche Mannigfaltigkeit in einen nicht gekrümmten Raum von höherer Dimension eingebettet werden kann, ohne dabei die Weglängen zu ändern. Im Fall des zweidimensionalen eingerollten Blattes Papier ist das evident – es befindet sich ja bereits im wohlvertrauten, nicht gekrümmten, dreidimensionalen Raum. Aber dass die Aussage immer gilt, ist höchst erstaunlich.

Gleich darauf machte sich der junge Nash an das neunzehnte Problem von Hilbert heran, einem berühmten Mathematiker, der im Jahr 1900 die mathematische Fachwelt mit einer Liste von 23 offenen Fragen herausgefordert hatte. Wer eines dieser Probleme löst (manche sind jetzt noch ungelöst) braucht für seinen Nachruhm keine Sorgen zu haben. Und tatsächlich: Nash löste Hilberts neunzehntes Problem über partielle Differenzialgleichungen, ein unerlässliches Werkzeug zur Beschreibung unserer Welt.

Dämpfer des Hochgefühls

Doch das Hochgefühl des Erfolgs erlitt einen Dämpfer: Nur ein paar Wochen zuvor hatte der Italiener Di Giorgi auf eine völlig andere Weise dasselbe bewiesen wie Nash. Jeder der beiden wäre ein guter Kandidat für die Fields-Medaille gewesen, damals die höchste Auszeichnung für Mathematiker: so aber bekam sie keiner der beiden. Sie waren noch keine dreißig, hatten also noch Zeit, sich vor ihrem vierzigsten Geburtstag noch weiter zu profilieren; ab dann kann man keine Fields Medaille erhalten.

Es sah aus, als bräuchte sich John Nash keine Sorgen zu machen: eine Professur am MIT winkte. Sogar das 'Fortune' Magazin wurde aufmerksam und beschrieb Nash als "einen der strahlendsten Sterne der neuen Mathematik". Er war in jeder Beziehung ein höchst ungewöhnlicher junger Mann, gebaut wie ein griechischer Athlet, von blendendem Aussehen, und verheiratet mit einer schönen, cleveren Frau, Alicia. Ein Baby war unterwegs.

Doch nun wurden die persönlichen Eigenheiten von Nash immer alarmierende: seine krasse Rücksichtslosigkeit, verletzende Arroganz und politische Skurrilität, die man lange auf Unreife und Überarbeitung zurückgeführt hatte. Seiner Umgebung wurde langsam bewusst, dass er an Wahnvorstellungen litt.

Erst 2011 veröffentlichte die NSA einen Briefwechsel mit John Nash aus dem Jahr 1955. In ungelenker Handschrift bot Nash darin ein Verschlüsselungsverfahren an. Die Einzelheiten des Verfahrens waren rätselhafterweise auf dem Postweg verloren gegangen, und obwohl Nash beteuerte, dass er kein Spinner sei, sondern außerordentlicher Mathematikprofessor, erteilte ihm die NSA eine Abfuhr.

Nash, der als Konsulent der RAND-corporation -- einem geheimnisumwitterten 'think tank' des Kalten Krieges -- von amerikanischen Sicherheitsbehörden überwacht worden war, fühlte sich zunehmend von einer außerirdischen Verschwörung bedroht. Er gab schließlich seine Professur auf und suchte (selbstverständlich erfolglos) in der Schweiz um politisches Asyl an.

Deportation und schmerzvolle Behandlungen

Er wurde deportiert, festgenommen, entmündigt und mehrmals gegen seinen Willen in Anstalten eingeliefert. Die Ärzte diagnostizierten paranoide Schizophrenie -- eine Krankheit, die als unheilbar galt -- und unterzogen ihn einer Reihe extrem schmerzhafter Schockbehandlungen. Manchmal tauchte er aus seiner psychischen Krankheit wieder auf, schrieb eine hervorragende Arbeit, und inspirierte einen neuen Zweig der Singularitätentheorie.

Doch dann hörte er wieder Stimmen, und gab seinen Wahnvorstellungen nach. Alicia musste sich scheiden lassen, um von der Bank die nötigen Kredite für die Behandlung ihres unzurechnungsfähigen Mannes zu bekommen.

Doch Nash gab seinen verzweifelten Kampf um die Rationalität nicht auf. Er war wieder nach Princeton zurückgekehrt und strich jeden Tag auf dem Campus herum, ein tragischer Schatten seiner selbst. Die Studenten, die den auffallend großen Mann, der in den Hörsälen chiffrierte Botschaften hinterließ, als 'Phantom' bezeichneten, bemerkten allmählich, dass sein Zustand wieder besser wurde.

Nachdem sich Vertreter der Schwedischen Akademie durch Augenschein überzeugt hatten, dass Nash einen halbwegs gefestigten Eindruck machte, erhielt er 1994 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Die New Yorker Wissenschaftsjournalistin Sylvia Nasar schrieb seine Biographie, "A Beautiful Mind". Nash mochte es nicht; aber er genoss den Ruhm, den ihm der darauf folgende Film bescherte.

Für das breite Publikum war er der bekannteste Mathematiker seiner Zeit. Der Abel-Preis war die offizielle Bestätigung, dass er auch die mathematische community überzeugt hatte: "Der Mann ist ein Genie".

Auf dem Heimweg kam das Taxi ins Schleudern. John und Alicia waren sofort tot. (Karl Sigmund, 27.5.2015)