Sieht man Debatten in sozialen Netzwerken als Stimmungsbarometer an (worüber man streiten kann), ist Irland das neue Superhelden-Land in Sachen gesellschaftspolitischer Liberalität und Gleichstellung. Nach dem Referendum, bei dem über 62 Prozent der Wahlberechtigten Ja zu Homosexuellen-Ehe gesagt haben, war die österreichische Twittergemeinde in zwei Punkten einig: Erstens, Respekt für Irland, das als erstes Land der Welt per Volksentscheid den Menschenrechten Genüge getan hat. Zweitens, Conchita hin, Brückenbauen her - Österreich ist und bleibt rückständig.

Das irische Votum ist in der Tat überaus bemerkenswert für ein Land, in dem die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung katholisch ist, in dem gleichgeschlechtliche Beziehungen bis 1993 strafbar waren, und in dem die katholische Kirche wütend gegen dieses Referendum mobil machte. Sieger dieses Urnengangs ist die Demokratie - vor allem junge Iren flogen extra für dieses Votum nach Hause, über 60.000 Menschen ließen sich in den Wahllisten registrieren.

Das Referendum, obschon von der Labour Party initiiert, wurde von allen namhaften irischen Parteien unterstützt. Fine Gael, die Mitte-Rechts-Partei, der auch der Ministerpräsident angehört, Mitglied in der Familie der Europäischen Volkspartei, hat das Votum unterstützt und seinen Ausgang stürmisch gefeiert.

Kirche als Verlierer

"Der große Verlierer ist die katholische Kirche, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat", heißt es etwa in einer Analyse in der Financial Times. Ging vor zehn Jahren noch jeder Schritt in Richtung soziale Veränderung in Irland von katholischen Kräften aus, habe die Ignoranz und auch die Hilflosigkeit der Kleriker im Umgang mit einer Reihe von Missbrauchsskandalen in den eigenen Reihen dazu geführt, dass die Autorität und Glaubwürdigkeit dieser Institution schwer gelitten habe.

Tausende von Iren, die Misshandlungen und Missbrauch am eigenen Leib in einem erzkatholisch geprägten Schul- und Erziehungssystem erlitten hatten, sowie ihre Kinder - wenige darunter selbst homosexuell - haben dieser Kirche schon lange nicht mehr geglaubt, dass gleichgeschlechtliche Liebe des Teufels sei, schreibt die FT.

Trau-mi-net-Partei

Spannt man nun den Bogen zu Österreich, kann man argumentieren, hier liege die Enthüllung der großen kirchlichen Missbrauchsskandale schon lange zurück, Österreichs katholische Kirche habe sich, wenn auch teils patschert, teils halbherzig, zumindest doch bemüht, das Leid der Opfer anzuerkennen. Insofern sei die Konservative Autorität der Institution Kirche nicht gar so arg angekratzt wie die irische.

Allerdings: Die Österreicher sind auch längst nicht mehr so katholisch wie die Iren. Dieses Faktum hätte der "Trau mi net"-Volkspartei ÖVP längst zu denken geben sollen. Eine Partei, die staatstragend sein will, sollte zur Kenntnis nehmen, wenn sich die Haltungen und Meinungen des Staatsvolks (in dem Fall nachzulesen in allen erdenklichen Umfragen in den letzten Jahren) geändert haben - und ihre Politik auch danach richten. Wenn sie Interesse daran hat, ernst genommen und wiedergewählt zu werden.

Es mag für viele ein medialer Nebenschauplatz sein, aber: Den internationalen ESC-Siegeszug von Conchita Wurst nicht als das zu erkennen was er war - ein starkes gesellschaftspolitisches Statement, mit dem sich viele Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Ausrichtung, anschlossen - ist schon ein Kunststück. Die ÖVP hätte diesen "wind of change" nützen können um ihre eigene Position elegant zu revidieren.

Realitätstaugliches Familienmodell

Dass einige ihrer Minister sich in der Öffentlichkeit diesbezüglich offen zeigten, hätte dabei helfen können. Politisch clever wäre es ohnehin gewesen: Wer das Modell "Familie" hoch hält, tut gut daran, möglichst alle familiären Konstellationen offensiv zu umarmen - auch die gleichgeschlechtlichen - alles andere geht an der Lebensrealität der Menschen vorbei.

Hätte die ÖVP das erkannt, hätte eine breite parlamentarische Mehrheit in Österreich für tatsächliche Gleichstellung ihrer Bürger sorgen können. Nichts anderes sollte man von einer entwickelten Demokratie im 21. Jahrhundert erwarten.

Unangebrachter Stolz

Statt dessen: Der ÖVP-Obmann und Vizekanzler zeigte sich nach dem Programmparteitag seiner Partei "stolz", weil man dort nun ab sofort, Diskussionen über Homosexuellen-Ehe und Adoptionsrecht zulassen möchte. Das ist fast schon bemitleidenswert weit weg von der Realität, ganz abgesehen davon, dass es ja hoffentlich eine Selbstverständlichkeit ist, dass in demokratischen Parteien diskutiert wird.

"Stolz" ist eine Regung, die viele Iren nun zurecht ihrem Land gegenüber hegen. Für die stockkonservative und unbelehrbare Haltung der ÖVP in der Homosexuellen-Frage ist sie dagegen unangebracht. (Petra Stuiber, 25.5.2015)