Ein später Favorit in Cannes: Shu Qi als Auftragsmörderin im taiwanesischen Drama "The Assassin".

Foto: Cannes

Stars sind die Währung, mit der man sich in Cannes die bessere Ausgangsposition sichern kann. Das demonstriert der Wettbewerb heuer deutlicher als sonst. Gerade bei den schwächeren Filmen wurde man den Eindruck nicht los, dass es allein die Hoffnung auf das berühmte Gesicht auf dem roten Teppich war, die diesen erst den Sprung in die Auswahl ermöglicht hatte. Am Ende blieb dann oft selbst vom Gesicht wenig übrig.

Umso erfreulicher, kurz vor dem Ende des Festivals am Sonntag, noch einen Film zu sehen, der klug, sogar etwas verwegen mit dem Konzept von Starruhm spielt, statt sich diesem blind anzuvertrauen. Der Franzose Guillaume Nicloux hat Valley of Love ganz auf die Persona seiner beiden Hauptdarsteller Isabelle Huppert und Gérard Depardieu zugeschnitten, die seit Maurice Pialats Loulou von 1980 nie mehr gemeinsam in einem Film zu sehen waren.

Mysteriöses Date

Huppert und Depardieu spielen ein Paar, das sich vor langer Zeit getrennt hat. Nun haben sich die beiden im Death Valley von Nevada zu einem mysteriösen Date verabredet. Ihr Sohn hat sich das Leben genommen und in seinen Abschiedsbriefen verfügt, seine von ihm entfremdeten Eltern mögen sich an diesem kargen Ort eine Woche lang einfinden.

Das klingt bedeutungsschwer, ist es aber in Wirklichkeit gar nicht. Nicloux benützt Setting und Drama nur wie eine Kulisse, vor der er die Unterschiede zwischen Figur und Starpersona verwischt. Auf ähnliche Weise hat sich der Regisseur in Die Entführung des Michel Houellebecq schon dem undurchschaubaren Schriftsteller angenähert.

Depardieu und Huppert arbeiten sich bravourös an ihrem Image ab, zugleich liefern sie das Porträt zweier verkorkster Menschen. Während sie schon bei der kleinsten Gelegenheit genervt wirkt, dann aber mit einem Lächeln alles gutmacht, wirkt er mit entblößtem Oberkörper wie ein grotesker Riese, der über wunderbar feinsinnige Fähigkeiten verfügt. Man glaubt diesem Paar jeden Moment lang, dass es sich eine Ewigkeit kennt, und ahnt trotzdem, dass alles nur Performance ist.

Bruch mit Konventionen

Mit The Assassin gibt es auch noch einen neuen Anwärter auf die Goldene Palme. Das Martial-Arts-Drama des taiwanesischen Regisseurs Hou Hsiao-hsien ist der schönste Film dieses Jahrgangs, ein formvollendetes, bis ins kleinste Detail betörendes Epos um eine Auftragsmörderin aus dem 9. Jahrhundert, die in ihre Heimat zurückkehrt und dort in einen Gewissenskonflikt gerät.

Viel war darüber spekuliert worden, ob sich ein Autorenfilmer wie Hou mit dem so populären chinesischen Genre verträgt, worin seine Absetzbewegung liegen könnte. Die im Academy-Format gedrehte Arbeit bricht mit einigen Konventionen, ohne sie über Bord zu werfen. Statt der Opulenz der Gefühle regiert bei Hou ein abstraktes Theater der Rivalitäten. Kampfszenen sind wie Scherenschnitte gesetzt, die abrupt in den Körper des Films fahren. Bewegungen werden nie zu Ende geführt, sondern verkürzt und dadurch intensiviert. Die Heldin (verkörpert von Hous regelmäßiger Darstellerin Shu Qi) wird nicht zur Überfigur stilisiert, sondern bleibt pure Präzisionsmaschine.

Besonders beeindruckt Hous Zusammenspiel von Farben und Licht und Schauplätzen: In einer Einstellung zerfließt das Kerzenlicht magisch im Vordergrund, später schieben sich Vorhangschleier über das Bild. Am Ende kriecht der Nebel eine Böschung hoch. An solch visueller Meisterschaft sollte die Jury rund um die Coen-Brüder nicht vorbeikommen. (Dominik Kamalzadeh, 22.5.2015)