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Finanzminister Yanis Varoufakis und sein Premier Alexis Tsipras im Parlament von Athen.

Foto: Reuters/Konstantinidis

Vier Monate nach ihrem spektakulären Wahlsieg steht die griechische Syriza-Partei vor den Scherben ihrer Politik. Einer Einigung mit den Europartnern, die eine nachhaltige Alternative zum bisherigen Sparkurs ermöglichen würde, ist sie keinen Schritt näher gekommen, ebenso wenig den angestrebten Reformen im eigenen Land. Und die Wirtschaftsdaten aus Griechenland selbst verschlechtern sich von Tag zu Tag.

Wenn Griechenland tatsächlich im Juni in den Staatsbankrott steuert, werden viele die unnachgiebige Haltung der anderen Euroländer, vor allem Deutschlands, dafür verantwortlich machen. Aber die missglückten Verhandlungen mit der Eurogruppe, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds sind gar nicht das größte Problem.

Premier Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis drohen die Schlacht im eigenen Land zu verlieren – und das aus einer Position, die ihnen einen Erfolg ermöglicht hätte.

Problemzonen: Primärhaushalt und Leistungsbilanz

Das lässt sich an zwei Indikatoren festmachen – dem Primärhaushalt und der Leistungsbilanz. Auslöser der Griechenland-Krise im Jahr 2010 war die massive Überschuldung des Staates. Aber die hätte man damals durch einen radikalen Schuldenschnitt beziehungsweise ein völliges Schuldenmoratorium leicht entschärfen können. In Wirklichkeit ist das auch geschehen: Die Vereinbarungen mit den Gläubigern haben die griechischen Zinszahlungen auf ein äußerst geringes Niveau gebracht.

Aber Griechenland hatte zwei größere Probleme: ein großes Primärdefizit im Staatshaushalt – also deutlich höhere Ausgaben als Einnahmen noch vor jeder Schuldenbedienung – und ein noch gewaltigeres Leistungsbilanzdefizit. 2008 konsumierten die Griechen um rund zwölf Prozent mehr, als sie produzierten. Die Lücke wurde durch Importe gefüllt, die mit neuen Schulden bezahlt wurden.

Kehrtwende unter Samaras

Beides konnte nicht weitergehen. Ohne Hilfe der Europartner hätte das Land noch viel radikaler sparen müssen. So aber wurde es Griechenland ermöglicht, beide Defizite über mehrere Jahre verteilt abzubauen. 2014, noch unter der Regierung von Antonis Samaras, war es so weit: Im Haushalt gab es einen kleinen Primärüberschuss, und die Leistungsbilanz war positiv.

Beide Erfolge wurden verspielt. Schon zu Jahresende gingen die Steuereinnahmen zurück, und auch die Leistungsbilanz, die stark vom Tourismus abhängig ist, dürfte wieder ins Minus gedreht haben. Damit ist Griechenland – der Staat und die gesamte Volkswirtschaft – erneut von ausländischen Kreditgebern abhängig, um seine Rechnungen zu bezahlen.

Schwache Verhandlungsposition

Das schwächt die Verhandlungsposition von Varoufakis gegenüber Wolfgang Schäuble und Co. ganz dramatisch. Bei einem Primärüberschuss kann sich Griechenland einen Staatsbankrott leisten, weil es dann keine neuen Kredite benötigt.

Derzeit aber müsste die Regierung in diesem Fall den Gürtel noch enger schnallen und die dringend benötigten sozialen Maßnahmen vergessen. Wenn das passiert, ist die Regierung wahrscheinlich Geschichte. Die Zügel haben daher die Kreditgeber in der Hand.

Falsche Arena für den Kampf

Syriza hat sich die falsche Arena für ihren Kampf um eine gerechtere Gesellschaft ausgesucht. Wahrscheinlich hätte Varoufakis nicht so viel Zeit im Ausland verplempern, sondern in Athen für eine Neuaufstellung der Steuer- und Fiskalpolitik sorgen sollen, damit mehr Geld eingenommen und weniger verschwendet wird.

Er und seine Ministerkollegen hätten vom ersten Tag an die katastrophalen Wirtschaftsstrukturen ins Visier nehmen müssen, die dazu führen, dass das Land trotz einer massiven Senkung des Lohnniveaus nicht mehr exportiert – und das Leistungsbilanzdefizit durch einen schmerzhaften Verzicht auf Konsum und Importe abbauen kann.

Nicht Merkel und Schäuble sind Syrizas größte Herausforderung, sondern die eigene Wirtschaft und die eigene Gesellschaft.

Unter der Kuratel der Troika

Die Obsession mit den ausländischen Kreditgebern ist allerdings verständlich. Schließlich wurde Griechenland 2010 unter die Kuratel der Troika gestellt, wodurch sich die ganze Frustration über die Wirtschaftsentwicklung auf die ausländischen Helfer entlud.

Die griechische Tragödie zeigt wieder einmal eine der ganz großen Schwächen jeder Entwicklungszusammenarbeit und Finanzhilfe, die mit Reformempfehlungen oder -forderungen verbunden ist: Für eine nachhaltige Aufwärtsentwicklung müssen Staaten geistigen Besitz von einer solchen Politik ergreifen. Kommt sie nur von außen, dann fördert das bloß Ressentiments.

Emanzipation von der Eurozone

Vielleicht ist ein echter Staatsbankrott die Chance, dass sich Griechenland von der Eurozone emanzipiert, egal ob es nun im Euro bleibt oder nicht. Dann wäre das Land auf sich allein gestellt und könnte sich nicht mehr auf böse ausländische Kräfte ausreden.

Langfristig wäre das für Griechenland das Beste. Kurzfristig aber würde das die wirtschaftliche und soziale Misere noch weiter vertiefen. (Eric Frey, 21.5.2015)