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Dass Wissenschafter die Existenz von Dingen ablehnen, die sie sich nicht erklären können, ist natürlich Unsinn: Zuletzt fragten sich Astronomen ernsthaft, ob Aliens Teilchenbeschleuniger bauen könnten.

Foto: dpa/Frank May

Seit einem halben Jahr gibt es den Blog "So ein Schmarrn", und in diesen sechs Monaten wurde hier heftig über Pseudowissenschaft und Esoterik diskutiert. Und wie es bei diesen Themen nicht anders zu erwarten war, gab es auch viel Kritik an meiner Kritik der diversen irrationalen Weltanschauungen. "Herr Freistetter versucht, gegen Schmarrn anzuschreiben, und schreibt selber Schmarrn in Reinkultur", schrieb User pman da zum Beispiel. Also nutze ich heute die Gelegenheit des halbjährigen Jubiläums, um der Frage nachzugehen, ob "So ein Schmarrn" wirklich Schmarrn ist, und will ein paar der häufigsten kritischen Argumente der User näher betrachten.

Ein schon fast klassischer Einwand wurde von User sterngucker_ formuliert: "So ein Schmarrn ... was der Herr Freistetter da schreibt. Nicht alles, was nicht greifbar ist, ist auch nicht existent." So gut wie immer, wenn man sich als Wissenschafter öffentlich über Astrologie, Homöopathie oder irgendein ein anderes esoterisches Thema äußert, bekommt man genau das früher oder später zu hören. Die Wissenschaft würde einfach alles ablehnen, was sie mit ihren Methoden nicht nachweisen könne, und behaupte, nur das könne existieren, was ihre Messgeräte registrieren würden.

Diesem Argument liegen allerdings Vorurteile bzw. Missverständnisse über die Arbeitsweise der Wissenschaft zugrunde. Ob die Detektoren der Physiker in der Lage sind, irgendwelche "feinstofflichen Schwingungen", "Auren" oder sonstige esoterische Energien nachzuweisen oder nicht, spielt keine Rolle bei der Beurteilung der daraus abgeleiteten Phänomene. Denn am Ende stehen immer Aussagen über die Realität: Homöopathen beispielsweise behaupten, sie würden Krankheiten besser heilen können als mit reinen Placebos, und diese Hypothesen sind selbstverständlich einer objektiven Überprüfung zugänglich.

Was nicht existieren darf

Irgendein potenzieller Wirkmechanismus spielt bei einer wissenschaftlichen Betrachtung solch esoterischer Phänomene vorerst keine Rolle. Und es ist auch definitiv nicht so, dass Wissenschafter eine Abneigung gegen "unerklärliche" Phänomene haben und nur das gelten lassen wollen, was Teil der etablierten Lehre ist. Trotzdem ist genau das ein weiteres häufig gehörtes Argument von Anhängern esoterischer Lehren.

User one of a kind schrieb in einer Diskussion unter einem meiner Artikel zum Beispiel: "Was in der eigenen Welt nicht existieren darf, darf einfach nicht existieren". Dabei kann einem Wissenschafter kaum etwas besseres passieren, als etwas zu entdecken, mit dem vorher niemand gerechnet hat. Denn genau das sind die Ereignisse, die zu großen wissenschaftlichen Revolutionen und Durchbrüchen führen. Wer immer nur den Status quo bestätigt, wird in der Forschung kaum eine große Karriere vor sich haben.

Ohne Phänomen kein Nachweis

Als zum Beispiel im Jahr 1998 Astronomen entdeckten, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt, war das genau das Gegenteil von dem, was bis dahin alle erwartet hatten. Dieses Phänomen der Dunklen Energie passte in keine der damaligen Theorien, und es fehlt bis heute der Nachweis über einen plausiblen Mechanismus, der die Beobachtungen erklärt. Aber – und das ist der große Unterschied zu den esoterischen Behauptungen! – es gibt keinen Zweifel daran, dass dieses Phänomen tatsächlich existiert. Alle Daten zeigen klar, dass sich das Universum tatsächlich immer schneller ausdehnt, weswegen die Suche nach einer Erklärung für die Natur der Dunklen Energie ein seriöser und sinnvoller Teil der Wissenschaft ist.

Bei esoterischen Lehren wie der Homöopathie dagegen fehlt bis heute der Nachweis, dass hier überhaupt ein Phänomen existiert, das einer Erklärung bedarf. Jede vernünftig durchgeführte Studie zeigt, dass Homöopathie nicht besser wirkt als ein Placebo. Placebos werden in der Medizin allerdings schon seit langer Zeit erforscht, und es ist daher nicht nötig, sich mit irgendwelchen obskuren homöopathischen Wirkmechanismen auseinanderzusetzen. Gleiches gilt für Astrologie, Erdstrahlen, Geister und so weiter.

Etwas Neues entdecken

Wissenschafter sind immer auf der Suche nach bisher unerkannten und völlig neuen Phänomenen. Nur wer etwas Neues entdeckt, kann auch etwas Neues über die Natur herausfinden und sie besser verstehen, als wir es jetzt tun. Wer also wie User geld stinkt behauptet: "Der ganze Beitrag fußt ja schon auf der kategorischen Behauptung, die Welt sei von der Naturwissenschaft restlos erklärt", hat wohl ein verzerrtes Bild der wissenschaftlichen Weltsicht.

Würden die Forscher tatsächlich davon ausgehen, schon alles zu wissen, was es zu wissen gibt, dann wäre ihr Job ja schon erledigt, und sie könnten die Arbeit bleiben lassen. Es reicht ein Blick in die Literaturdatenbanken der Wissenschafter, um zu sehen, dass hier noch genug offene Fragen zu beantworten sind und dass man sich dabei auch nicht scheut, angebliche "Außenseiter"-Themen zu behandeln.

Wissenschaft ist nicht dogmatisch

Kosmologen publizieren ständig neue Arbeiten, in denen etwa über Alternativen zur Urknalltheorie spekuliert wird. Astronomen beschäftigen sich intensiv mit der Suche nach außerirdischen Lebewesen und werden dabei durchaus sehr kreativ: Im März erschien zum Beispiel eine Arbeit, in der darüber nachgedacht wurde, ob intelligente Aliens für ihre Forschung vielleicht Teilchenbeschleuniger bauen, die so groß wie ganze Galaxien sind, und ob wir in der Lage wären, kosmische Infrastruktur auf diesem Level von der Erde aus nachzuweisen.

Es gibt Arbeiten, bei denen die Auswirkungen außerirdischen Asteroidenbergbaus analysiert oder Mutmaßungen über den Bau von "Dyson-Sphären" um supermassereiche schwarze Löcher angestellt werden. Und Physiker forschen über Zeitreisen oder Überlichtgeschwindigkeit. Zu behaupten, die Wissenschaft wäre "dogmatisch" und würde nur das "Lehrbuchwissen" akzeptieren, aber alles Neue ablehnen, könnte von der Wahrheit kaum weiter entfernt sein.

Schuster, bleib bei deinem Leisten

Aber natürlich muss neben der Offenheit für neue Phänomene auch tatsächlich ein gewisser Konservativismus gewahrt bleiben. Einfach alles ungesehen als real zu akzeptieren, nur weil es cool klingt und spannend ist, hat wenig mit Wissenschaft zu tun. Trotzdem ist es im Allgemeinen nicht so, wie User Hellspäher in einem Kommentar behauptet: "Hätte es diesen Blog 1900 schon gegeben, hätten hier wohl Lorentz und Einstein aufgrund ihrer Theorien, die der klassischen Mechanik widersprechen, ebenso ihr Fett wegbekommen."

Einsteins Relativitätstheorie wurde von den Kollegen eigentlich recht schnell akzeptiert, und das, trotzdem sie mehr als deutlich vom Status quo der damaligen Zeit abwich. Aber sie war in der Lage, die Realität besser zu beschreiben als die klassische Mechanik, und genau darauf kommt es an. Eine gute Theorie, die in Übereinstimmung mit den Beobachtungen ist, wird früher oder später immer angenommen. Da Wissenschafter auch nur Menschen sind und sich manchmal genauso in ihren eigenen Vorstellungen verrennen wie der Rest der Welt, kann es manchmal ein wenig länger dauern – aber am Ende setzt sich die Realität dann doch immer durch.

Wer kritisieren darf

Wer Esoterik und Pseudowissenschaft kritisiert, wird oft auch mal persönlich angegriffen. User Horst Pertolli meint zum Beispiel: "Der Herr Freistetter soll nicht etwas wissenschaftlich aufarbeiten, wenn er nichts davon versteht. Wie heißt es so schön: Schuster, bleib bei deinem Leisten." Diesem Vorwurf zu begegnen ist allerdings schwer. Denn aus Sicht der Anhänger diverser esoterischer Lehren weiß man immer erst dann "ausreichend" gut über ein Thema Bescheid, wenn man der gleichen Meinung darüber ist wie sie selbst.

Dass man zum Beispiel durchaus Ahnung von Astrologie haben kann und sie trotzdem doof findet, wird nicht akzeptiert. Die Forderung, sich nur dann über etwas äußern zu dürfen, wenn man auch "Experte" ist, trifft übrigens immer nur die Kritiker. Würde ich zum Beispiel die Homöopathie loben, würde sich wohl keiner ihrer Anhänger daran stören, dass ich Astronom bin und kein Mediziner.

Es gibt wichtigere Themen

Zum Schluss möchte ich noch die Frage von User captain blaubär beantworten: "Dass sich derStandard.at mit Freistetters Unsinn aufhält, ist schwer bedenklich. Gibt es keine wichtigeren Themen?" Doch, die gibt es mit Sicherheit. Es gibt so gut wie immer ein "wichtigeres" Thema, egal womit man sich beschäftigt. Es gibt wichtigere Themen als die Sportberichterstattung in den Medien. Es gibt wichtigere Themen als die österreichische Politik. Es gibt wichtigere Themen als die Kultur. Und es gibt natürlich auch wichtigere Themen als meinen Blog. Aber die Existenz "wichtigerer" Themen macht den Rest nicht völlig irrelevant. Würde man diese Einstellung konsequent zu Ende denken, dann müsste man zuerst alle möglichen Themen der Wichtigkeit nach sortieren und sie dann exakt der Reihe nach abarbeiten.

Der Vorwurf "Gibt es nichts Wichtigeres? Hast du nichts Besseres zu tun?" ist eigentlich immer nur eine andere Formulierung für: "Ich stimme dir nicht zu und will nicht hören, was du sagst!" Das ist natürlich völlig legitim und wer "So ein Schmarrn" für Schmarrn hält, kann und soll mir das gerne weiterhin sagen. Obwohl ich dann natürlich fragen muss: Habt ihr eigentlich nichts Besseres zu tun? (Florian Freistetter, 26.5.2015)