Paolo Sorrentino lässt in "Youth" zwei alterslose Großmeister der Präsenz in einem vornehmen Hotel in den Schweizer Alpen aufeinandertreffen: Michael Caine (hi.) und Harvey Keitel.

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Ein Dirigent im Ruhestand, der mit Kühen auf einer Alm ein kleines Konzert im Kopf veranstaltet. Ein Student, der mit einer alten kantonesischen Musiknummer vage Bilder verbindet. Eine Krankenschwester, der zwei Prinzessinnen an einem religiösen Schrein auf sehr unverblümte Weise erscheinen. Drei Beispiele, wie beim Festival von Cannes zuletzt die Zeit und damit auch die verschlungenen Wege der Erinnerung in den Mittelpunkt rückten.

Youth von Paolo Sorrentino (La grande bellezza) spielt in einem vornehmen Schweizer Alpenhotel. Viele Gäste sind betagt, suchen dort Unbeschwertheit mit Ausblick. Ein scheinapathischer Dirigent (Michael Caine) und ein arbeitswütiger Regisseur (Harvey Keitel) sind darunter, ein ausgebrannter Jungstar (Paul Dano) - und ein Fußballstar, der meist nur wie eine Boje im Pool treibt.

Youth ist ein Film über Menschen, die sich vom Leben nicht mehr überrollen lassen. Wenn es hitzig wird, hilft oft ein Witz. Zu den meisten Angeboten sagt man inzwischen lieber Nein. Die Jugend wird bei Sorrentino nur wie eine Folie gebraucht, um Unterschiede der Generationen schärfer herauszuarbeiten.

Caine und Keitel, die tragenden Kräfte des Films, sind zwei Großmeister der Präsenz. Selbst wenn es um Probleme beim Wasserlassen geht, folgt man ihnen gerne. Wer Sorrentino kennt, weiß jedoch, dass er zu größeren Panoramen tendiert: Das Hotel wird zu einem in erlesenen Bildern (Kamera: Luca Bigazzo) gefilmten Panoptikum, das sich zu allerlei Nischen hin öffnet. Manches davon gerät zu anekdotisch, anderes erscheint zu plakativ. Der größere Bogen gelingt nur bedingt, doch Schaustücke wie ein donnernder Auftritt von Jane Fonda als Hollywood-Diva bereiten Spaß.

Auch Mountains May Depart von Jia Zhang-ke hat den Blick auf den Wandel der Zeiten gerichtet. Go West, der hymnische Song der Pet Shop Boys, wird zum Leitmotiv des Films. Dieser ist in drei Abschnitte unterteilt, die 1999, 2014 und 2025 spielen und einem kleineren Ensemble an Figuren folgen, als man es von dem Chinesen gewohnt ist. Zhao Tao, Jias bevorzugte Hauptdarstellerin, liefert als Tao eine der bewegendsten Darstellungen ihrer Laufbahn. Mit dem großspurigen Jungunternehmer Jingsheng (Zhang Yi) entscheidet sich ihre Figur für einen Mann, der für den Aufbruch, das neue Zeitalter steht.

Die ersten beiden Teile des Films sind an den klassischen Studiostil eines Hollywood-Dramas angelehnt, während der dritte einen futuristischen Ausblick auf eine globalisierte Kultur von Exilchinesen wagt. Blicken die Figuren 1999 noch euphorisch einer Zukunft entgegen, in der die Verlockungen des Kapitalismus ein neues Lebensgefühl verheißen, stumpfen die Erwartungen schließlich immer mehr ab. Das Dreiecksdrama spiegelt die größeren Weichenstellungen des Landes auf stimmige Weise wider. Nur im dritten, merkwürdig unebenen Teil des Films beklagt Jia den Verlust kultureller Identität dann etwas zu offensichtlich.

Dass man unterschiedliche Zeiten auch in einer mysteriösen Gegenwart zusammenwirken lassen kann, beweist hingegen Cemetery of Splendour von Apichatpong Weerasethakul. Der Film wirkt wie eine Paraphrase auf Syndromes and a Century, einen früheren Film des thailändischen Cannes-Gewinners. Wieder ist ein Krankenhaus Schauplatz, Soldaten laborieren dort an einer seltsamen Schlafkrankheit. Der Blick ist auf die freiwilligen Helferinnen gerichtet, ihren Umgang mit den Kranken, aber auch auf die Vergangenheit des Ortes, an dem einmal ein königlicher Friedhof lag.

Mit schöner Selbstverständlichkeit überlagern sich bei Weerasethakul die Zeiten, oft erzeugt er nur mit der Lichtsetzung schillernde Atmosphären - spirituelles Kino, das sich von den Fesseln eines linearen Zeitmodells vollkommen befreit hat. (Dominik Kamalzadeh, 20.5.2015)