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Andreas Pinkwart: "Was ist mit jenen, die im 100-Meter-Lauf keine Medaille machten?"

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STANDARD: Sie leiten eine der ältesten Ausbildungsstätten für Gründer in Deutschland. Hat es Sie niemals gereizt, selbst ein Unternehmen auf die Beine zu stellen?

Pinkwart: Ich hatte den Gedanken immer wieder und schließe es für mich auch künftig nicht aus. Ich fühle mich für die Gründung eines Start-ups noch jung genug.

STANDARD: Welcher Geschäftsidee könnten Sie nicht widerstehen?

Pinkwart: Das Thema müsste mich faszinieren, es müsste ein ehrgeiziges sein. Wenn ich etwas mache, dann richtig und nicht nebenbei.

STANDARD: Gibt es so etwas wie ein Unternehmer-Gen?

Pinkwart: Erfolgreiche Unternehmer haben eine spezifische Begabung. Sie sind bereit, für ihre Idee einen hohen persönlichen Einsatz zu bringen und wie Künstler oder Sportler viel Kraft und Zeit darin zu investieren, Neues zu schaffen. Sie sehen Dinge, die andere nicht sehen. Improvisieren, neue Wege aufzeigen - das ist in jedem verankert. Die Frage ist, wie stark es ausgeprägt ist und wie groß die Bereitschaft ist, dafür Risiko einzugehen.

STANDARD: Man ist also zum Unternehmer geboren?

Pinkwart: Studien haben gezeigt, dass Kinder aus Unternehmerfamilien, die erlebt haben, wie Un- ternehmen funktionieren, später eine höhere Neigung zum Gründen haben als etwa jene aus Beamtenfamilien. Doch dieser Erfahrungshintergrund lässt sich ersetzen: durch positive Vorbilder. Es ist wichtig, Studierende früh mit Absolventen zusammenzubringen, die gerade erst gegründet haben. So spannend es wäre, einen Bill Gates zu holen - besser ist es, auf Augenhöhe zu bleiben.

STANDARD: Deutschland und Österreich rangieren mit ihren geringen Gründerquoten europaweit freilich weit abgeschlagen ...

Pinkwart: Das muss nicht negativ sein. Die Gründerquoten sind kein Selbstzweck. Beide Länder sind hochentwickelte Volkswirtschaften. Je besser die Beschäftigungslage, desto geringer etwa ist die Zahl der Gründer. Denn die Gründung aus Not heraus fällt weg. Als Deutschland vor 13 Jahren eine hohe Arbeitslosigkeit erlebte, gab es, statistisch gesehen, weit mehr junge Betriebe als heute - aber ihre Qualität war nicht besser. Die Frage ist: Wie viele scheiden wieder aus. Derzeit erleben wir eine Gründerwelle im Zuge der Digitalisierung: Etablierte Unternehmen werden von jungen herausgefordert und geraten unter Druck. Am Ende trennt sich die Spreu vom Weizen.

STANDARD: Junge klagen, dass es leichter sei, einen Kredit fürs Auto zu bekommen als für den Aufbau eines Unternehmens.

Pinkwart: Finanzierung innovativer Unternehmen ist mit Bankkrediten nicht zu machen. Da braucht es andere Formen, etwa Risikokapital. Investoren bauen darauf, dass von zehn Start-ups mindestens zwei aufgehen. Damit finanzieren sie die anderen acht. Business-Angels sind jedoch nicht neu: Schon während der industriellen Revolution stellten Unternehmer Ingenieuren Geld zur Verfügung. Irgendwann braucht es aber einen Exit. Das Problem ist, dass der Börsengang heute nur in wenigen Fällen gelingt. Und es sind erfahrene Leute nötig. Die Stärke des Silicon Valley ist die Infrastruktur an Anwälten, Coaches, Mentoren, Wissenschaftern. Wer gute Ideen hat, kann sie mit voll eingespielter Maschinerie schnell weiterentwickeln und global skalieren.

STANDARD: Was treibt die USA an, und was bremst Europa?

Pinkwart: Die USA sind immer noch ein junges Land, sie tragen Gründerkultur, Einwanderermentalität in sich. Wir sind anders strukturiert, haben einen starken Mittelstand, große Unternehmen, starke Gewerkschaften, Bürokratie. Das hat auch Vorteile. In Österreich mag es vielleicht noch etwas schwieriger sein - in Deutschland jedoch scheitern gute Ideen heute sicher nicht mehr an der Finanzierung.

STANDARD: Woran scheitern sie dann?

Pinkwart: Es gibt Defizite bei den Möglichkeiten für Exits. Ab 20 Millionen Euro fehlt es bei Finanzierungsrunden an großen Investoren und Fonds, die auch einmal 100, 150 Millionen bereitstellen, damit gute Ideen global abheben können. Wer weiterwachsen will, muss Partner in den USA suchen, die sich dann oft recht günstig einkaufen. Unsere sozialen Sicherungssysteme sind auf konservativen Anlagenmodellen aufgebaut. Gelänge es etwa, dass Alterssicherungsfonds Teile ihres Kapitals in Chancenfonds anlegen, wären andere Größenordnungen möglich. Das würde es guten Unternehmen erlauben, aus Europa heraus globale Kompetenz aufzubauen.

STANDARD: Was halten Sie als ehemaliger Politiker davon, Start-ups die Lohnnebenkosten für ihre ersten Mitarbeiter zu erlassen?

Pinkwart: Es gibt viele steuerliche Forderungen, auch rund um Sozialversicherungsbeiträge. Ich bin nicht sicher, ob das wirklich die Lösung ist. Rasch wachsende Unternehmen werden in der Regel nicht von Einzelpersonen, sondern im Team gegründet. Entweder die Konzepte tragen, oder sie tragen nie. Das muss man ganz locker sehen. Es mag dem einen oder anderen helfen - in der Regel jedoch scheitert es nicht an solchen Punkten. Viel wichtiger sind gute Ideen, sind weniger Hürden durch Bürokratie, ist Unterstützung durch Beratung und Netzwerke.

STANDARD: Wer eine Insolvenz hinlegt, ist für seine restliche Laufbahn stigmatisiert. Vermissen Sie in Eu- ropa eine Kultur des Scheiterns?

Pinkwart: Es braucht keine Kultur des Scheiterns, sondern eine des Wiederaufstehens. Wir müssen insgesamt umdenken. Die klassische Karriere - Großvater, Vater, Sohn bei einem Konzern - ist doch längst vorbei. Auch Angestellte durchlaufen heute unterschiedliche Arbeiten und ändern dabei oft mehrfach ihre Berufsfelder. Wir bewegen uns in einer Welt, die zum ständigen Wandel auffordert. Es braucht mehr Offenheit nicht nur bei den Start-ups, sondern in der Wirtschaft insgesamt.

STANDARD: Dennoch scheuen viele das Risiko. Die meisten Uni-Absolventen wollen keine Jungunternehmer, sondern Manager werden.

Pinkwart: Kommt man aus einer Welt der scheinbaren Sicherheit - mit starkem öffentlichem Sektor, Unternehmen, die lange Zeit quasi sichere Jobs boten -, wird Unternehmertum als unsicher wahrgenommen. Junge machen jedoch heute die Erfahrung, dass ihre Eltern trotz toller Qualifizierung nicht mehr die sicheren Jobs haben. Sie sehen, dass die Arbeitswelt nicht mehr planbar ist. Generell ist der Anteil an Selbstständigen unter Zuwanderern höher als unter Einheimischen. Viele erfolgreiche Unternehmen wurden von Menschen mit Migrationshintergrund gegründet. Sie sehen darin Chancen, sich in etablierten Systemen hochzuarbeiten und in die gesellschaftliche Elite vorzustoßen. Dafür sind viele auch bereit, ein höheres Risiko einzugehen.

STANDARD: Aber was, wenn der Aufbau des eigenen Betriebs misslingt?

Pinkwart: Wir sollten nicht überdramatisieren. Jeder kann überall scheitern, im Beruf, im Sport. Was ist mit all jenen, die im 100-Meter-Lauf keine Medaille machten, obwohl sie ihr ganzes Leben darauf aufbauten, Gold zu erreichen? Darüber redet keiner. Wer es als Läufer bis 30 nicht geschafft hat, muss es bleiben lassen. Wer als junger Gründer einmal scheiterte, kann es mit 50 immer noch schaffen.

STANDARD: Die Krise in der Finanzwirtschaft zeigt, dass die bisherige Denke im Management fatale Folgen hatte. Lehren Sie Ihre Studenten nun auch andere Maßstäbe?

Pinkwart: Wir haben seit 2004 einen Lehrstuhl für Wirtschaftsethik und haben das nie als Feigenblatt verstanden. Gewinne zu machen ist nicht negativ, aber das, was wir tun, muss auch anderen Maßstäben Rechnung tragen. Sollte die nächste Blase platzen, dann aufgrund der Zentralbankpolitik des billigen Geldes. Sie reißt Tür und Tor für Spekulation auf. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. (Verena Kainrath, )