Logo: "FC Dnipro Dnipropetrovsk" von Anatoliy Agnyotkin

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Jewhen Selesnjow schoss Dnipro mit Toren in Hin- und Rückspiel gegen Napoli ins Endspiel von Warschau.

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Aus den Räumlichkeiten der Regionalregierung musste sich Dnipro-Besitzer Ihor Walerijowytsch Kolomojskyj zuletzt wieder verabschieden.

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Leben am großen Fluss Dnjepr, ...

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... sterben in den Kämpfen in der Ostukraine: Massenbegräbnis auf einem Friedhof in Dnipropetrowsk.

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Wien/Warschau – Am 27. Mai steht eine Premiere auf dem Programm. Dnipro Dnipropetrowsk wird in Warschau erstmals ein europäisches Endspiel schmücken. Das ist gleichzeitig auch eine Überraschung, denn die bis dato bemerkenswertesten internationalen Errungenschaften der Männer mit dem warägischen Drachenboot über dem Herzen stammen noch aus spätsowjetischer Zeit: zwei Viertelfinal-Teilnahmen im Meisterpokal 1985 und 1990.

Es scheint paradox, dass Dnipro seine größten Erfolge in der vergleichsweise viel stärkeren UdSSR-Liga erspielen konnte, in deren ewiger Tabelle man an 17. Stelle rangiert – schlanke 1.206 Punkte hinter Dynamo Kiew, das dort als bestplatziertes ukrainisches Team auf dem zweiten Platz knapp hinter Spartak Moskau steht. In den zumindest sportlich goldenen 1980er-Jahren erklommen die "Krieger des Lichts" (Spitzname!) zweimal gar den Gipfel des sowjetischen Fußballgetriebes (Meister '83 und '88), einmal stemmte man auch den imperialen Pokal ('89). Klassespieler wie Oleg Protassow und Gennadi Litowtschenko adelten damals die Gestade des "fernen Flusses" Dnjepr.

Dagegen blieb man seit der zweiten ukrainischen Unabhängigkeit 1991 formal erfolglos: Titelzuwachs Fehlanzeige. Wiederholt fehlte nicht viel, doch in gleich drei Cupfinals musste sich Dnipro dem Hegemon Schachtar Donezk geschlagen geben. Dennoch war man zumeist im Spitzenfeld der Premjer Liha aufzufinden.

Was war

Die Wurzeln des Vereins reichen bis 1918 und der Gründung einer Werksmannschaft der Petrowski Stahlwerke zurück. Es dauerte dann aber bis Mitte der 1930er-Jahre, ehe das mittlerweile "Stahl" genannte Team erstmals an einer zwar unterklassigen, aber immerhin landesweiten Liga teilnahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg firmierte die ziemlich unerfolgreiche Truppe unter dem Namen Metalurg ("Metallarbeiter"), ehe die Sportgenossen 1961 mit den Juschmasch-Werken verbandelt und schließlich in Dnjepr (russisch für Dnipro) umbenannt wurden. Den Atomraketen in der Produktpalette des Kombinats verdankte die Industriemetropole Dnipropetrowsk mit heute knapp einer Million Einwohner, dass sie von der Staatsführung zur geschlossenen Stadt erklärt wurde, zu der der Zutritt beschränkt oder (für Ausländer) überhaupt verboten war. Pikant: Das mittlerweile in ukrainischen Staatsbesitz übergegangene Juschmasch lieferte weiterhin wichtige Komponenten für die russische Rüstungsindustrie. Erst 2014 erteilte Präsident Petro Poroschenko angesichts des Krieges im Osten des Landes die Order, den Export solcher Produkte zu stoppen.

Auch Walerij Lobanowskyj, der Gigant des ukrainischen Fußballs, hat, natürlich, möchte man sagen, bei Dnipro seine Spuren hinterlassen. Als er 1969 beim damaligen Zweitligisten seine erste Trainerstelle antrat, bot sich dem erst 30-Jährigen die Gelegenheit, seinen naturwissenschaftlich geprägten Zugang zum Fußball in der Praxis zu testen. Das vollzog sich durchaus erfolgreich, denn zwei Saisonen später führte Lobanowskyj Dnipropetrowsk zum Aufstieg. In diese Zeit fiel auch sein folgenreiches Zusammentreffen mit dem Biologen Anatolij Selenzow, der fortan bis zum Ende seiner Trainerlaufbahn (und seines Lebens) wissenschaftlicher Berater und kongenialer Partner Lobanowskyjs bleiben sollte.

Sprung ins Jetzt

"Können Sie auswendig drei ihrer Stammspieler nennen? Können Sie dreimal hintereinander den Namen in flottem Tempo aussprechen?", fragte die belgische "Sportwereld" ihre Leser, als Dnipropetrowsk im EL-Viertelfinale Club Brügge als Gegner zugelost wurde. Nach gegenseitiger Bekanntmachung fanden sich die Belgier dann rasch als Ex-Teilnehmer wieder. Das Ensemble von Trainer Miron Markewitsch, seit Mai 2014 im Amt, hatte wieder einmal dichtgehalten und sich durchgesetzt, ohne einen Gegentreffer zuzulassen (0:0, 1:0). Ein Markenzeichen, denn in seinen bisher 16 europäischen Partien dieser Saison ließ Dnipro insgesamt gerade einmal elf Tore zu.

Dass man seinerseits in Summe auch nicht mehr als 15 Goals zusammenbrachte, lässt über den Stil der Ukrainer schon eine Menge Rückschlüsse zu. Gegeben wird: Kämpferisches Teamwork. Laut Uefa-Statistiken hat kein Team mehr Fouls begangen und gelbe Karten kassiert als Dnipro. Fast scheint es, als hätten sich Markewitschs Mannen das Diktum des alten Rationalisten Lobanowskyj zu eigen gemacht, der in seiner Autobiografie "Spiel ohne Ende" schrieb: "Man kann sich im modernen Fußball unmöglich auf Glück oder Zufälle verlassen. Es ist vielmehr notwendig, (...) ein Kollektiv zu schaffen, das an die gemeinsame Spielidee glaubt und sich ihr unterordnet."

Der Chef und sein bestes Pferd

Die Geschicke des Klubs bestimmt Besitzer und De-facto-Präsident Ihor Walerijowytsch Kolomojskyj. Der 52-Jährige ist einer jener Männer, die die Goldgräberphase nach der Auflösung der Sowjetunion für ihr privates Fortkommen bestens zu nützen wussten. Seine "Privatbank" ist heute das größte Institut der Ukraine, zu seinen Operationsfeldern zählen aber auch Medien, Bergbau, Stahl, Luftfahrt und Petrochemie. Neben Dnipro gehören diesem Geflecht auch noch weitere Fußballklubs an. Kolomojskyj war federführend an der Finanzierung des Menorah-Zentrums beteiligt, des größten jüdischen Kulturzentrums der Welt, das 2012 in Dnipropetrowsk fertiggestellt wurde. Mit seinem Milliardenvermögen rittert er im Ranking der reichsten Ukrainer um Platz zwei hinter seinem Donezker Erzrivalen Rinat Achmetow.

Für etwa ein Jahr war Kolomojskyj, der sich massiv gegen die russisch gesponserte Separatistenbewegung in der Ostukraine positioniert hatte, Gouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, ehe er im März von Präsident Poroschenko geschasst wurde. Der Grund: Kolomojskyj hatte sich mit Millionenbeträgen für den Aufbau von Freiwilligenbataillonen für den Krieg im Donbass hervorgetan und damit das staatliche Gewaltmonopol infrage gestellt. Der Fall wurde als Lackmustest für den Willen und die Fähigkeit der ukrainischen Administration interpretiert, oligarchischen Machtansprüchen Grenzen zu setzen. Gescheitert ist Kolomojskyj zuletzt auch beim Versuch, die Präsidentschaft des ukrainischen Fußballverbands FFU zu erlangen.

Zumindest bei Dnipro jedoch, zählt weiterhin allein das Wort des Patriarchen. Das wurde klar, als Kolomojskyj im Winter 2013/14 in letzter Minute den fertig ausverhandelten Transfer von Jewgen Konopljanka zum FC Liverpool abdrehte. Der 25-jährige Linksaußen ist der auffälligste Spieler im Kader der Ukrainer und nimmt eine zentrale Rolle im Konterspiel ein, das Markewitsch seiner Mannschaft verordnet. Mit über 200 Einsätzen steht er trotz seines noch jugendlichen Alters bereits auf Platz zwei der Rekordspielerliste Dnipros. Der schnelle und technisch beschlagene Konopljanka muss oft im Alleingang für Entlastung sorgen, ein hoher Prozentsatz der Offensivaktionen Dnipros wird über ihn lanciert. Markewitsch, der ihn noch aus seiner Zeit als Nationaltrainer kennt, tituliert Konopljanka als besten Spieler des Landes. Es überrascht, dass er noch immer in der Ukraine zu Gange ist. Im Sommer jedoch sollte sich das ändern: Konopljanka, dessen Vertrag ausläuft, wird dann ablösefrei zu haben sein.

Selten, aber oho

Etwa 17.000 Zuschauer kamen in der Saison 2013/14 im Schnitt zu den Heimspielen ins 2008 eröffnete Dniprostadion mit seinem Fassungsvermögen von etwas mehr als 30.000. Da die Ukrainer der deutschen Baufirma Hochtief die Errichtungskosten nie vollständig bezahlten, sah sich diese zu rechtlichen Schritten gezwungen, um doch noch an ihr Geld zu kommen. So geschah es, dass sich beim Trainingslager in Niederösterreich vor zwei Jahren auch ein Gerichtsvollzieher einfand. In der Europa League hatte Dnipopetrowsk aufgrund der Sicherheitslage ins Olympiastadion von Kiew ausweichen müssen.

Mit einem Durchschnittsalter von rund 27 Jahren stellt man einen Kader mit reichlich Erfahrung. In der Qualifikation zur Champions League noch am FC Kopenhagen gescheitert, konnten sich die Blau-Weißen im Fortgang der Kampagne in der Europa League namhafte Skalps an den Gürtel heften: Olympiakos Piräus, Ajax Amsterdam und zuletzt im Halbfinale auch der SSC Napoli hatten sich den Namenlosen zu beugen.

Transfermarkt.de taxiert den Gesamtmarktwert des Dnipro-Personals auf 82,7 Millionen Euro und damit etwa halb so hoch wie jenen von Finalgegner FC Sevilla (155,8 Millionen). Aber Vorsicht: Ukrainische Teams mögen zwar nicht allzu oft europäische Finali bereichern, im Fall des Falles jedoch pflegen sie diese auch zu gewinnen. So wie Kiew 1975 und 1986 den Cup der Cupsieger, so wie Donezk 2009 den Uefa-Cup. (Michael Robausch, 26.5.2015)