Figuren in Apichatpong Weerasethakuls neuem Film "Mekong Hotel" sprengen die Grenzen des klassischen Subjekts: Eine Frau etwa folgt seit 600 Jahren als Geist ihrem Appetit auf Eingeweide.

Foto: Stadtkino Wien Verleih

Wien - In einer Welt voller Geister ist eine Naturkatastrophe stets auch ein spirituelles Ereignis. So weiß zum Beispiel jemand in Apichatpong Weerasethakuls Film Mekong Hotel, was es mit einer großen Überschwemmung in Bangkok eigentlich auf sich hat: "Das sind Tränen des Smaragdbuddhas, der nach Laos zurückwill." 2011 wurde Thailand von einer Flut heimgesucht, das Ereignis klingt nach in diesem stillen Desasterfilm, der aus großer Distanz auf den Fluss und auf die weltlichen Ereignisse schaut. Es ist allerdings keine schmerzlose Distanz. Im Gegenteil rühren die Gespräche zwischen zwei Frauen und zwei Männern, deren Namen wechseln, immer wieder an traumatische Vorgänge: zum Beispiel die grausame Durchsetzung des Sozialismus in Laos, die eine andere Flut zur Folge hatte, da Menschen nach Thailand flüchteten.

Davon weiß in Mekong Hotel eine Frau zu erzählen, die für sich noch ganz andere Zeitmaße in Anspruch nimmt als die historischen: Sie lebt seit 600 Jahren als Geist, als Eingeweide fressendes Monstrum, das sich aber immer wieder in eine ältere Frau verwandelt. "Ich bin angewidert von dieser tierischen Gewalt." Es bleibt offen, ob sie ihre eigenen Taten meint oder nicht doch das, was eine "tierische" Menschheit mit sich anstellt.

Politik, Erotik und Mythologie

Die Filme des thailändischen Regisseurs Apichatpong Weerasethakul waren immer schon offen für eine Wirklichkeitsdimension, die sich nur mit einem "wilden Denken" erschließen lässt. Er ist bekannt für seine komplexen Verschränkungen von Politik, Erotik und Mythologie. Die Figuren sind bei ihm selten Subjekte in dem klassischen Sinn, wie wir das aus abendländischen Erzähltraditionen kennen. Sie sind eher selbst so etwas wie Schauplätze, und so überträgt sich in Mekong Hotel eine Ebene auf eine andere: In einem Hotel treffen Menschen aufeinander, die selbst gleichsam bewohnt sind, die besucht oder heimgesucht werden.

Das Stadtkino tut gut daran, diese mittellange Arbeit, die aus Proben zu einem "richtigen", bisher nicht gedrehten Film hervorging, ins Kino zu bringen, denn Mekong Hotel ist mehr als nur eine Marginalie. Es ist eher eine große Meditation darüber, wie der majestätische Fluss, der ein trügerisches Bild gemächlicher Bewegung abgibt, auf seinem Lauf die Sedimente der Geschichte einsammelt und sie so lange aufschüttet, bis ein Buddha zu weinen beginnt. Gedreht wurde in Nong Khai, unweit der laotischen Hauptstadt Vientiane, aber eben schon auf dem Territorium Thailands.

Die Speedboote, die in einer der letzten Einstellungen über das Wasser des Mekongs fegen, wirken wie Insekten auf einer undurchdringlichen Fläche. Das mag ein gegenläufiges Bild sein zu den blutigen Momenten, die in ihrer Künstlichkeit auf das Groteske in allen konkreten Darstellungen von Gewalt verweisen.

Take What You Can Carry

Mekong Hotel dauert eine gute Stunde, das lässt Zeit für einen zweiten, kürzeren Film: Take What You Can Carry von Matt Porterfield täte man unrecht, wenn man ihn nach Parallelen zu Mekong Hotel absuchen würde. Die Geschichte einer jungen amerikanischen Frau in Berlin steht für sich. Lilly (Hannah Gross, die schon in I Used to Be Darker von Porterfield mitgespielt hatte) lebt in einer losen Beziehung mit einem Musiker, arbeitet als Kindermädchen und tanzt in einer Performance der Gruppe Gob Squad. Inspiration zu dem halbstündigen Film fand Porterfield in einem Text von Georges Perec: Träume von Räumen. Berlin ist ein Raum, der sich besonders stark mit Träumen aufladen lässt, weil sich mit der Stadt eine Mythologie von Vorläufigkeit, von experimentellem Leben verbindet.

Porterfield arbeitet gegen das Klischee an, zu dem dieses Stadtbranding längst geworden ist, findet aber ähnliche Motive. Darin liegt dann doch eine auffällige Gemeinsamkeit dieser beiden Filme, von denen einer das Geistersehen konkret werden lässt, während der andere die Geister ganz in den Räumen zum Verschwinden bringt. (Bert Rebhandl, 20.5.2015)