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"Es hat lange gedauert, bis wir die Onkologen davon überzeugen konnten, dass zu einer Krebstherapie-Planung auch die Familienplanung gehört", sagt der Hamburger Gynäkologe Frank Nawroth.

Foto: dpa/Felix Heyder

Krebs. Die Diagnose schockiert, macht Angst. Trauer kommt auf, Wut oder Hilflosigkeit. Die ganze Lebensplanung gerät durcheinander: Werde ich bald sterben? Doch Krebs bedeutet heute in vielen Fällen kein Todesurteil mehr. Brustkrebs ist zum Beispiel in den meisten Fällen heilbar, nach fünf Jahren leben noch 87 Prozent der Patientinnen.

Früher mussten Frauen mit Krebs oft auf Kinder verzichten, weil Chemo- und Strahlentherapie die Eierstöcke schädigen. "Heute können wir aber vielen Krebspatientinnen ihren Kinderwunsch erfüllen", sagt Michael von Wolff, leitender Reproduktionsmediziner an der Uniklinik in Bern.

Von Wolff spricht von einer fertilitätserhaltenden Therapie. Früher behandelte er an der Uniklinik in Heidelberg regelmäßig Frauen mit Brustkrebs. "Es war schön zu sehen, dass wir viele heilen konnten", erzählt er, "aber es war auch frustrierend, weil ich wusste, dass die oftmals jungen Frauen keine Familie mehr gründen konnten."

Welche ist die richtige Methode?

2004 hörte er auf einem Kongress, dass Kollegen bei einer Krebspatientin Eierstockgewebe entnommen, eingefroren und ihr dann wieder eingepflanzt hatten. Kurz darauf wurde die Frau schwanger. "Wir waren begeistert, aber auch verunsichert, weil wir nicht genau wussten, welche Methode die richtige ist", sagt von Wolff.

So gründete er 2006 gemeinsam mit anderen Gynäkologen das Netzwerk FertiPROTEKT, ein Zusammenschluss von öffentlichen und privaten Kliniken, die fruchtbarkeitserhaltende Therapien nach den neuesten Erkenntnissen anbieten. "Die Behandlungen werden in den Zentren des Netzwerks wissenschaftlich untersucht und weiter entwickelt. So können wir jeder Frau die passendste und wirksamste Behandlung anbieten."

Für junge Frauen: Kryokonservierung

Je jünger die Frau, desto grösser sei die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, sagt Andreas Jantke, niedergelassener Gynäkologe in Berlin und Leiter der Kinderwunschsprechstunde an der dortigen Uniklinik Charité. "Wir können vorher die Eierstockreserve messen, also wie viele Eizellen noch vorhanden sind."

Wie sehr Chemo- oder Strahlentherapie die Ovarien schädigen, hängt von der Art der Krebstherapie, vom Alter und von der Eierstockreserve ab. "Deshalb ist es so wichtig, dass sich die Frauen von einem Experten beraten lassen." Anhand der persönlichen Situation und des Wunsches der Patientin schlagen die Gynäkologen die passende Behandlung vor.

Einer 30-jährigen Frau mit Brustkrebs, deren Tumor hormonabhängig wächst, riet von Wolff kürzlich zu einer Kryokonservierung des Ovargewebes. Hier entnimmt der Gynäkologe im Rahmen einer Bauchspiegelung meist die Hälfte eines Eierstocks, das Gewebe wird eingefroren und später wieder eingepflanzt. "Das ist für junge Frauen ideal, weil sie noch viele Eizellen haben", erklärt der Gynäkologe.

Ruhepause für die Eierstöcke

Wäre die Frau 38 Jahre alt und hätte einen hormonunabhängigen Tumor, würde er eine Stimulationsbehandlung empfehlen: Die Frau bekommt Hormonspritzen, damit mehr Eizellen heranreifen. Diese werden dann entnommen und eingefroren. Später können diese dann wieder aufgetaut und eine künstliche Befruchtung durchgeführt werden: Die Eizellen der Frau werden mit den Spermien des Mannes im Reagenzglas zusammen gebracht und die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter eingepflanzt.

Der 25-jährigen Frau mit Lymphdrüsenkrebs, die eine schwache Chemotherapie bekommen sollte, empfahl von Wolff Spritzen mit einem Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten (GnRHa). Diese Medikamente führen zu einem Hormonmangel und damit zu einer Ruhepause für die Eierstöcke – sie werden vorübergehend künstlich in die Wechseljahre versetzt.

"Die Wahrscheinlichkeit, dass die Chemo die Eierstöcke schädigt, ist in diesem Fall geringer", erklärt von Wolff. "Die Eizellen reifen nicht heran und werden von der Chemotherapie weniger stark angegriffen. Ist die Behandlung beendet, nehmen die Eierstöcke später höchstwahrscheinlich ihre Funktion wieder auf." Der Frau kann er so die Laparoskopie für das Einfrieren ersparen. "Möchte die Frau aber später unbedingt schwanger werden, bespreche ich das natürlich mit ihr", sagt von Wolff.

Nicht genügend informiert

"Eine Bauchspiegelung ist heutzutage ein kleiner ambulanter Eingriff mit geringen Risiken", ergänzt der Experte. Bräuchte die Frau mit Lymphdrüsenkrebs allerdings eine aggressive Chemotherapie, sei das Risiko hoch, dass die Eierstöcke geschädigt werden. In so einem Fall kombiniert von Wolff gerne mehrere Methoden, um die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft zu erhöhen: Zunächst entnimmt er zum Beispiel Eierstockgewebe, danach wird eine Stimulationsbehandlung durchgeführt und nach zwei Wochen zusätzlich ein GnRHa gespritzt.

Die Patientinnen würden oft nicht oder nicht ausreichend über Möglichkeiten der Fruchtbarkeitserhaltung aufgeklärt, findet Frank Nawroth, niedergelassener Gynäkologe in Hamburg und wie von Wolff Mitglied im Leitungsteam von FertiPROTEKT. "Es hat lange gedauert, bis wir die Onkologen davon überzeugen konnten, dass zu einer Krebstherapie-Planung auch die Familienplanung gehört."

Hohe Kosten

Inzwischen würden viele Kollegen die Patientinnen vor Beginn der Krebstherapie aber routinemäßig zu ihm schicken. "Auch wenn eine Frau nach dem Schock der Diagnose einer bösartigen Erkrankung keine spätere Schwangerschaft in Erwägung zieht, sollte sie trotzdem hierzu beraten werden", sagt Jantke. "Eine Beratung kostet nichts und später bereut sie vielleicht, diese nicht wahrgenommen zu haben."

Auch über die Kosten muss man sich Gedanken machen. Operation und GnRHa würden meist nicht oder nur teilweise von den Kassen bezahlt, sagt Frank Nawroth. Die Operation zur Gewebeentnahme kostet knapp 1.000 Euro, die Lagerung des Gewebes jährlich einige Hundert Euro, die Stimulation vor der Eizellentnahme einige Tausend Euro und ein GnRHa für die Dauer der Therapie monatlich etwa 180 Euro. "Um die Chancen zu erhöhen, später schwanger zu werden, finde ich das aber gut investiertes Geld", sagt Nawroth. (Felicitas Witte, 7.5.2015)