"Fünf Minuten und zwei Sekunden vor zwölf" heißt es für Griechenland. Wenn die Regierung in Athen bis Ende Juni keinen fixfertigen Kompromiss mit EU, IWF und EZB schafft, ist das Land pleite.

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Das als "streng vertraulich" eingestufte Protokoll, das am vergangenen Donnerstag nach einem Lagebericht in der Chefetage des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu den Verhandlungen mit Griechenland angefertigt wurde, lässt an Deutlichkeit nichts offen: "Der Fonds kann keine überhastete und schlampige Prüfung abschließen" (orig.: "quick und dirty"), heißt es da zum Ringen über einen Abschluss des zweiten Eurohilfsprogramms, das der IWF mit den Staaten der Eurogruppe finanziert.

Die eigenen Experten hätten in Bezug auf einzelne Politikfelder bereits große Flexibilität gezeigt. Aber das geschehe mit der Einschränkung, dass das daraus folgende Zahlenwerk dem Finanzrahmen und dem Gebot der Nachhaltigkeit entspricht. Die Verhandler müssten sich "an die Regeln halten", sie "können das Mandat des IWF nicht vernebeln". Ohne diese Voraussetzungen sei an die Möglichkeit eines weiteren Hilfsprogramms nicht zu denken.

Keine guten Nachrichten für Griechenland

Was da auf zwei Seiten niedergeschrieben wurde und über das für Griechenland zuständige IWF-Exekutivbüro an den britischen Sender ITV geleakt wurde, waren für die Regierung in Athen keine guten Nachrichten. Noch Freitagabend hatte Premierminister Alexis Tsipras bei einem Vortrag in Athen betont, dass er und seine Minister bestimmte "rote Linien" keinesfalls überschreiten werden.

Es werde weder die von den Experten von IWF, EZB und EU (den "Institutionen") verlangten Einschnitte im Pensionssystem geben noch die Reformen auf dem Arbeitsmarkt, hatte Tsipras gesagt. Gleichzeitig hieß es aus dem Verhandlerteam der Regierung, man rechne mit einem Abschluss "schon in den nächsten Tagen" - und damit mit der Auszahlung der ausstehenden Kredite von 7,2 Milliarden Euro. Ohne dieses Geld könnte die Regierung die fälligen Rückzahlungen an IWF und EZB nicht bestreiten, müsste sich dann wahrscheinlich noch vor Sommer für zahlungsunfähig erklären.

Dabei wurde nach dem letzten Treffen der Eurogruppe vor einer Woche noch Optimismus versprüht. Die Atmosphäre bei den Gesprächen sei durch Umstellung des Verhandlerteams aus Athen nach dem Eklat beim Eurotreffen in Riga besser geworden. In einzelnen Punkten habe es Fortschritte gegeben, bei der Mehrwertsteueranhebung oder dem System zur Steuereintreibung.

Zahlen außer Kontrolle

Das wird auch in dem IWF-Bericht positiv festgehalten. Er streicht aber ebenso hervor, dass es in den für die Finanzierbarkeit des Programms entscheidenden Bereichen - Pensionen, Arbeitsmarkt, Budget 2015, fiskalische Ziele - nichts erledigt sei. Zudem sei Griechenland im ersten Quartal 2015 in die Rezession zurückgefallen, die Experten hätten keinen Zugang zu Ministerien in Athen. Besondere Sorge bereite der Umstand, dass die Griechen seit Dezember 40 Milliarden Euro an Einlagen von Banken abgehoben hätten, zwanzig Prozent aller Einlagen. Umgekehrt nehme die Versorgung mit Liquidität durch das Eurobankensystem zu.

Weil der IWF einen "dirty deal", einen schnellen schmutzigen Deal unter Bruch der Regeln, ausschließt, stellt sich für die Eurogruppe nun dringlicher denn je die Frage, wie es mit der Griechenlandhilfe ohne Beteiligung des Fonds weitergehen könnte. Es ist davon auszugehen, dass der IWF nach zwei Programmen (Volumen: 240 Milliarden Euro) aussteigt. Die Eurostaaten müssten ein drittes Kredithilfsprogramm wohl allein stemmen. Experten sprechen von 30 bis 50 Milliarden Euro, die für die kommenden Jahre nötig sein werden.

In Deutschland hat darüber bereits eine Debatte eingesetzt. SPD-Chef Vizekanzler Sigmar Gabriel hat Athen ein solches Programm in Aussicht gestellt, wenn es sich an die vereinbarten Regeln hält, Reformen umsetzt. Die CDU lehnt das - derzeit - strikt ab. (Thomas Mayer, 18.5.2015)