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Party bis zum Abwinken. Wien wächst sich zur Event-Metropole aus.

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Sich einmal von der anderen Seite zeigen: Diesen Ratschlag nahm sich Finanzstadträtin Renate Brauner zu Herzen, als sie 2008 in blauer Robe mit Organisator Gery Keszler den Life Ball besuchte.

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Herzerlstecker für 1,70 Euro das Stück. Umweltstadträtin Ulli Sima und ORF-General Alexander Wrabetz mit einer ESC-Werbeidee.

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Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und der Song Contest: Zusätzliche Sicherheitskosten könnten das Budget noch strapazieren.

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Bürgermeister Michael Häupl freut sich, Gastgeber zu sein.

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Schon Bürgermeister Helmut Zilk und Gattin Dagmar Koller empfingen Stargäste in Wien.

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Grünen-Politikerin Madeleine Petrovic und das Ehepaar Klima beim Charity-Event.

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Grafik: Standard

Es ist ein Lied mit ernstem Hintergrund, das die ungarische Künstlerin Boggie an jenem sonnigen Donnerstagvormittag auf dem Albertinaplatz in Wien performt. In Wars For Nothing ruft sie dazu auf, alle Kriege weltweit zu beenden. "Ganz Europa soll das Lied hören, und es soll den Menschen helfen", kommentiert sie ihren Auftritt. Schon bald wird Boggie ihren Song einem Millionenpublikum präsentieren, ist sie Ungarns Teilnehmerin am heurigen Eurovision Song Contest. Der Auftritt auf der kleinen Bühne neben dem Bitzinger-Würstelstand vor der Albertina ist einer von vielen, den die kleinen Stars und Sternchen derzeit absolvieren, um ihre Bekanntheit zu steigern. Sie erhalten dabei Unterstützung ihres Heimatlandes. Und weil seit dem Vorjahr die Begriffe Song Contest und Wurst für viele zusammengehören, veranstaltete der Ungarn-Tourismus rund zwei Wochen vor dem Musikevent eine "Debreziner Wurst Party".

Politische Prominenz durfte dabei nicht fehlen. So biss zum Beispiel Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) ins Würstel. "Wenn ein Termin dazukommt, kommt ein anderer wieder weg - voll ist mein Kalender immer", kommentierte er seine Anwesenheit bei der im Tagesgeschäft eines Spitzenpolitikers eher nicht vordergründig erscheinenden Party. Doch er ist bei weitem nicht der einzige Politiker, der derzeit bei Terminen, die Gusto auf den Gesangswettbewerb machen sollen, in Erscheinung tritt. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ließ sich bei der Präsentation der Sicherheitsvorkehrungen rund um den Song Contest ablichten. Auch die Wiener Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) fand schon mehrere Gelegenheiten, etwa beim Auftakt der traditionellen Frühjahrsputzaktion, die - Vorsicht Wortspiel - heuer den Namen "Eurowischn" trägt.

200 Millionen Fernsehzuschauer

Noch sind es sieben Tage bis zum Finale des Song Contest, der Mega-Event findet am 23. Mai in der Wiener Stadthalle statt. 10.500 Besucher werden das Spektakel live vor Ort verfolgen, rund 200 Millionen Menschen vor den TV-Geräten. Nicht nur Politiker sind ob der gewaltigen Veranstaltung, die nach 48 Jahren nun wieder in Wien über die Bühne gehen wird, bereits im Song-Contest-Fieber. Die ganze Stadt ist zu einer Eurovision-Kulisse mutiert: Durch Wiens Straßen fahren Straßenbahnen im Song-Contest-Design, in den Stationen spricht Vorjahressiegerin Conchita Wurst Durchsagen, und aus Kanaldeckeln tönen Song-Contest-Hits.

Zwar plagten die Verantwortlichen kurz nach Conchitas Sieg in Kopenhagen noch Zweifel, ob der Gesangswettbewerb finanziell zu stemmen sei - die Entscheidung, welche österreichische Stadt als Austragungsort zum Zug kommt, gipfelte dann aber in einem regelrechten Kampf zwischen den Landeshauptstädten. Am Ende setzte sich Wien durch - und lässt sich das aber auch einiges kosten. Budgetiert sind 11,7 Millionen Euro.

Die Opposition hat schon im Herbst heftige Kritik geübt, weil die rot-grüne Stadtregierung die ohnehin schon sehr hohen Werbemittel weiter erhöhte. Die Stadt Wien Marketing GmbH - sie zeichnet neben dem Song Contest unter anderem auch für die Organisation des Wiener Eistraums oder des Silvesterpfads verantwortlich - erhielt 2015 mit 6,37 Millionen Euro um 60 Prozent mehr Budget als in den Jahren davor. Auch in den Folgejahren soll das Budget bei 5,37 Millionen statt bisher vier Millionen Euro liegen. "Die Stadt Wien Marketing GmbH setzt diese eine Million Euro, die sie für den Song Contest bekommt, nicht für Werbung ein, sondern erfüllt aus diesen Mitteln die mit dem ORF vereinbarten Leistungen: etwa die Organisation der Opening Ceremony oder das City Branding", heißt es aus dem Büro von Stadtrat Christian Oxonitsch. Das Leistungspaket der Stadt werde wie angekündigt umgesetzt, auch die Kosten für die Stadt "bleiben wie angekündigt".

Das hatten sich wohl auch die Verantwortlichen in Kopenhagen 2014 erhofft. Erst im August, drei Monate nach dem Wettbewerb, wurde bekannt, dass der Anteil der Stadt sich dreimal so teuer wie ursprünglich geplant gestaltet hatte.

Hoher Werbewert

Für Wien steht dennoch der Imagegewinn im Vordergrund. Die Wien-Holding, jenes Tochterunternehmen der Stadt, das unter anderem die Wiener Stadthalle verwaltet, gab beim Institut für Höhere Studien (IHS) eine Untersuchung in Auftrag. Errechnet werden sollte, welche ökonomischen Konsequenzen der Song Contest nach sich zieht. Das Ergebnis: Das Großereignis soll eine Bruttowertschöpfung von 38,1 Millionen Euro - davon 27,8 Millionen Euro in Wien - bringen. Zudem werden Steuereinnahmen in Höhe von 16 Millionen Euro erwartet, wovon der größte Anteil mit 6,2 Millionen Euro auf den Bund entfällt. Und schließlich der Werbewert der Veranstaltung: Dieser wurde von den Wissenschaftern des IHS gar auf 100 Millionen Euro geschätzt. Ein Todschlagargument?

Dagegen wirken die 11,7 Millionen Euro jedenfalls wie eine Lappalie. Das ist jedoch längst nicht alles. Auch der Veranstalter ORF - Generaldirektor Alexander Wrabetz hat aus Sicherheitsgründen mit Karlheinz Papst sogar einen Vertreter festgelegt - greift für den Song Contest tief in die Tasche. Die Gesamtkosten belaufen sich auf etwa 25 Millionen Euro. Abzüglich diverser Erlöse muss der ORF rund 15 Millionen aus dem Budget aufbringen.

"Pipi-Veranstaltung"

Der Wiener Regisseur Peter Kern kann sich bei diesen Zahlen nur an den Kopf greifen. In der Wochenzeitung Die Zeit nannte er es eine "Frechheit, dass so eine Pipi-Veranstaltung wie der Song Contest" in solchem Ausmaß gefördert werde: "Plötzlich ist Geld vorhanden. Warum war das beim Burgtheater nicht da?"

Auch der Australier Dean Vuletic, ein Historiker, der in Wien über politische Aspekte des Song Contest forscht, versteht die Summen nicht: "Es ist bekannt, dass Wien eine Musik- und Kulturhauptstadt ist." Anders sei die Situation etwa 2012 in Baku in Aserbaidschan gewesen. Da sei das Ziel gewesen, sich für Europa zu öffnen. Wien profitiere aber ohnehin vom modernen Bild des Song Contest. Plakate für die Imagesteigerung, Stichwort City Branding, hält Vuletic für überflüssig.

Auch der deutsche Soziologe Walter Siebel von der Universität Oldenburg hat schon mehrere Städte beobachtet, die sich für Großveranstaltungen startklar machen. "Ein großes Fest weckt Aufmerksamkeit weit über die Grenzen einer Stadt hinaus, man verspricht sich einen Gewinn der Aufmerksamkeit", erklärt er, warum der Konkurrenzkampf um die Austragung oft groß ist. Der durchschnittliche Besucher eines Großevents gebe viel mehr Geld aus als jemand, der eine Veranstaltung eines lokalen Theaters besuche. Aber auch Siebel weist darauf hin: Das Geld, das Städte für Großevents ausgeben, fehlt dann für die normale kulturelle Infrastruktur.

Ein Fest von vielen

Weil im Mai ein ganzer Reigen von Festen in Wien stattfindet - heute, Samstag, etwa der Life Ball -, könne die Stimmung auch kippen: "Feste sind umso attraktiver, je seltener sie gefeiert werden. Es kann auch einen Overkill geben."

Siebel hat schon 1993 den Begriff der "Festivalisierung der Stadtpolitik" geprägt: Großveranstaltungen wie Olympische Spiele, Weltausstellungen oder Fußballweltmeisterschaften werden als Lokomotive für die Entwicklung einer Stadt genutzt. Zwar sei der Song Contest mit Events dieser Größe nicht vergleichbar, man müsse aber immer die Frage der nachhaltigen Nutzbarkeit stellen. Zahlen sich die Investitionen aus?

Dass Politiker sich auch heuer wieder beim Life Ball zeigen werden und auch im Zusammenhang mit dem Song Contest auftreten, findet Siebel naheliegend. Sie seien darauf angewiesen, in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein. "Vor Kommunalwahlen wird das besonders wirksam sein", sagt er in Hinblick auf die Wiener Gemeinderatswahlen im Herbst.

"Von der anderen Seite zeigen"

Der Wiener Politologe Peter Hajek glaubt hingegen nicht, dass der Song Contest direkte Auswirkungen auf den Wahlkampf haben wird. "Bis zum 11. Oktober vergeht noch viel Zeit, da ist der Song Contest längst vergessen." Es schade einem Politiker allerdings auf keinen Fall, sich beim Song Contest zu zeigen: "Man kann sich in einem Umfeld positionieren, das einen einmal von einer anderen Seite zeigt."

Dass sich Wien darum gerissen hat, den Song Contest auszutragen, führt Hajek aber eher darauf zurück, wirtschaftliche Ziele erreichen zu wollen. "Die Politik hat im Sinne der Stadt gehandelt, weniger in ihrem Eigeninteresse."

Wer sind die Profiteure? Freuen kann sich die Hotellerie, immerhin erwartet man 30.000 Nächtigungen durch den Song Contest. Auch die Geschäftsführer der Stadthalle profitieren, erhalten sie doch eine rundum erneuerte Veranstaltungslocation, die weiterhin für Konzerte genutzt wird und Erlöse bringt. Der ORF kann sich europaweit als professionelle Fernsehanstalt präsentieren.

Dort zieht derzeit Pius Strobl als Event-Manager die Song-Contest-Fäden. Der als Netzwerker bekannte ehemalige ORF-Unternehmenssprecher lässt noch offen, wie es jobmäßig weitergehen wird. Ob er sich nächstes Jahr wieder mit der Organisation des Song Contest beschäftigen wird?

Neuer Austragungsort

Die Chancen, dass Österreich mit seinem Beitrag I Am Yours von The Makemakes den Gesangswettbewerb ein zweites Mal gewinnen wird, werden als gering eingestuft. Wer weiß, vielleicht kann sich ja Kandidatin Boggie aus Ungarn durchsetzen. Schon einmal war eine Sängerin mit einem Antikriegslied beim Song Contest erfolgreich: 1982 gewann die Deutsche Nicole mit Ein bisschen Friede. (Rosa Winkler-Hermaden, 16.5.2015)