ÖBB-Vorstandschef Christian Kern im Gespräch mit STANDARD-Redakteur Christoph Prantner: Eine bessere Management-Literatur als "Richard III." gebe es nicht, sagt der Bahnmanager.

Foto: Urban

Es ist eine Geschichte, wie sie viele andere Familien in Österreich auch kennen: Die Kerns aus Wien-Simmering hatten Verwandtschaft in der Slowakei und Ungarn. Kontakte waren lange Zeit kaum möglich. Als der Eiserne Vorhang 1989 fiel, gab es endlich die Chance auf Begegnung. Damals sei ihm, sagt der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Bundesbahnen, Christian Kern, erstmals wirklich bewusst geworden, dass er Europäer ist und nicht nur Österreicher.

Als zweites Schlüsselerlebnis beschreibt er den viele Jahre später neu eingerichteten Trading-Saal beim Verbund, wo er inzwischen ins Topmanagement aufgestiegen war. Zwischen all den blinkenden Computern sei ihm aufgegangen, wie vernetzt Europa und die Welt inzwischen sind: "Entscheidungen in China haben unmittelbare Auswirkungen auf unsere Energiepreise. Heute ist es wichtig, wenn in China ein Fahrrad umfällt."

Opa und Europa,...

Zwischen beiden Begebenheiten liegt der EU-Beitritt Österreichs ("Eine exzellente Kampagne!"), den Kern in der Politik – er war Sprecher bei Staatssekretär und später SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka – miterlebte. Damals habe ihn die Aufbruchstimmung fasziniert – ein eher seltenes Phänomen für Österreich. "Aber die ist leider nach der Volksabstimmung ein wenig abgeflacht. Stichwort: Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa."

Entscheidend sei damals die Führungsstärke der Politik (Vranitzky und Mock) gewesen. Für einen guten Chef sei es wesentlich, sagt der Manager, Begeisterung entfachen zu können. "Das ist in den Königsdramen Shakespeares nachzulesen – der besten Management-Lektüre, die es gibt, auch wenn am Schluss meistens alle tot sind und einer weint." Begeisterungsfähigkeit, das sei auch das Urmaß für die Politik, wiewohl man dieser Tage nicht sicher sein könne, dass alle Handelnden über diese Qualifikation verfügen.

13.000 Normen für den Railjet

Daraus mag auch der Umstand resultieren, dass die EU heute vom visionären Projekt zur buchhalterischen Größe mutiert ist. Allein: Die Union ist nicht nur eine Milliardentransferagentur, sondern es gehe auch um die "Allokation von Lebenschancen" und letztlich um Werte neben Wirtschaftsinteressen: "Darüber muss sich Europa vor allem definieren."

In der Umsetzung europäischer Politik hingegen geht Kern, der auch Vorsitzender des Europäischen Eisenbahnverbandes ist, vieles zu langsam: "Fortschritte gibt es erst, wenn der Letzte überzeugt ist. Da kommt man sich oft vor wie im Murmeltiertag-Film." Ein Railjet etwa müsse, wenn er international fahren will, 13.000 Normen einhalten – "da wünscht man sich manchmal schon mehr Zentralismus in Brüssel".

Politische Ambitionen in Wien hat Kern dezidiert ausgeschlossen. Und europäische? "Es wäre gelogen, würde ich sagen: Das interessiert mich nicht." Allein, bei den ÖBB gebe es noch viel zu tun, sein Vertrag laufe bis 2019. (lib, 16.5.2015)