Dieser Wald ist die letzte Zuflucht für Magier und Feen, Elfen und Kobolde, Drachen und Ritter. Sagt Nicolas Mezzalira. Er meint das ganz ernst. Mezzalira, sonore Stimme, Vollbart, die wallende Mähne im Nacken zusammengebunden, lockeres Leinenhemd, könnte selbst einer Sage entspringen – oder dem TV-Serienhit Game of Thrones. Da passt es, dass er gewissermaßen der Oberbeauftragte in Sachen Legendenvermittlung in der Bretagne ist. Mezzalira leitet das Centre de l’Imaginaire Arthurien, und das hat sich dem Imaginären rund um die Artussage verschrieben.

Schluchten wie der "Jungfrauen-Haushalt", tief im bretonischen Wald von Huelgoat, lassen viel Raum für die Fantasie.
Foto: Karin Krichmayr

Genau hier, inmitten des Waldgebiets namens Brocéliande, soll König Artus mit seiner Ritterrunde getafelt haben, auf der Suche nach dem Heiligen Gral. Die Seele des Zauberers Merlin soll noch immer zwischen alten Eichen und riesigen Farnen herumgeistern, samt einer Riege weiterer Sagengestalten bis hin zu Tristan und Isolde. Das ist etwas verwirrend, aber für die Erklärungen ist ja Nicolas Mezzalira da.

Hier hat sich Sagenhaftes zugetragen

"Der Wald steht für alle Wälder und deren geheimnisvolle Anziehungskraft. Ob es wirklich genau jener ist, um den sich diese Geschichten ranken, ist bedeutungslos. Der Glaube daran, dass das hier die echte Brocéliande sei, hat jedenfalls viele Menschen inspiriert", sinniert der studierte Politik- und Kulturwissenschafter.

Tatsache ist: Der Zauberwald Brocéliande, in dem eine Reihe von Erzählungen aus dem arturischen Sagenkreis lokalisiert sind, existiert auf keiner Landkarte. Vielmehr ist an dieser Stelle der Wald von Paimpont eingezeichnet, ein Nest eine knappe Stunde westlich von Rennes. Dass sich hier Sagenhaftes zugetragen habe, begann sich ab dem 12. Jahrhundert herumzusprechen, als britische und französische Dichter Versatzstücke aus den Geschichten rund um König Artus von Großbritannien in die Bretagne, das kleine Britannien, verlegten.

Surreales Dallas

Der Plot – Mezzalira spricht vom Dallas des Mittelalters – wurde immer wieder aufgegriffen und weiter vermanscht, von Richard Wagner genauso wie von den französischen Surrealisten. Dessen kann man sich in der gut sortierten Buchhandlung des Centre de l’Imaginaire Arthurien vergewissern, die dem kleinen Museum angeschlossen ist.

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Schloss Comper

Die Zentrale der Artus-Anhänger liegt im Schloss von Comper, einem herrschaftlichen Anwesen, das sich in einem langgezogenen See spiegelt. Mit den Dunstschwaden steigt auch eine Menge Mythen daraus empor: Der Sage nach ist der See nur eine Illusion, um jene gläserne Zitadelle vor Blicken von außen zu schützen, die Merlin für seine Angebetete, die Fee Viviane hergezaubert hatte. Aber das ist eine lange Geschichte.

Ein Ort der Freiheit

Nicolas Mezzalira erzählt sie immer wieder, während er Besucher auf bis zu drei Tage dauernden Touren durch den Wald und ins Val sans Retour, das Tal ohne Wiederkehr führt. Von März bis September ist der Wald offiziell zugänglich – was eingefleischte Fantasy-Fans nicht davon abhält, sich auf eigene Faust auf die Suche nach Übersinnlichem zu machen. Irgendwie muss man dabei an Blair Witch Projekt denken.

"Die Menschen kommen, um etwas zu suchen und zu finden", führt der Legendenexperte aus. "Der Wald ist ein Ort der Freiheit, hier kann man wieder Kind sein. Ich glaube nicht, dass die Mythen alle stimmen, aber ich glaube an die Kraft der Imagination."

Fantasy und Eso-Trip

Diese Kraft hat auch ein reales Geschäft mit der Fantasie angekurbelt: In Paimpont und Umgebung findet man in jedem Greißler Sagennippes. Der nahe Ort Tréhorenteuc wurde durch eine mit Artus-Motiven geschmückte Kirche sowie einem Special-Interest-Café zum Wallfahrtsort für Fantasy-Pilger. Aber auch andere suchen ihr Heil im Hinterland der Bretagne: So wie die Frau in Jogginganzug, die vor einer tausendjährigen Eiche Yoga praktiziert. "Es ist hip unter Pariser Aussteigern, alte Häuser zu restaurieren und Selbstversorgerkommunen zu gründen", sagt Mezzalira.

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Auch ohne sich noch die dazugehörigen Legenden zu merken, ist es eine Wohltat, vorbei an mit Moosen und Farnen überzogenen Hinkelsteinen zu wandern und verborgenen Bächen zu lauschen.

Fantasy und Eso-Trip, das alles scheint sich gut einzufügen in die alte keltische Mythologie, die nirgendwo am Kontinent so tief verankert ist wie in der Bretagne. Davon kann man sich auch in den Monts d’Arrets überzeugen, nahe dem Ort Huelgoat. Wobei der höchste Punkt in diesem "Gebirgsmassiv" gerade einmal 400 Meter misst. "Die Bretagne ist platt wie ein Crêpe", muss auch Andrea Beck, die gebürtig deutsche Naturparkführerin, zugeben. Und doch: Wenn die Sicht gut ist, kann man von den kargen Berghügeln aus die Küste ausmachen. Wenn.

Irreale Wirkung

An diesem Tag herrscht entrische Stimmung. Schwarze Regenwolken hängen über dem Plateau und lassen die Landschaft, aus der sich neben ein paar Felskämmen nur Heidekraut und Stechginster erheben, noch irrealer wirken.

Da will man Andrea Beck gern glauben, dass sich in den dunklen Mooren der Legende nach das Tor zur Hölle befindet. Dorthin geleitet Ankou, der bretonische Tod, seine Schützlinge. Kein Wunder, dass hier schon vor tausenden Jahren Megalithen und Langgräber errichtet wurden. Weiter unten, im Wald von Huelgoat geht es tatsächlich hinab, in die Teufelsgrotte, den Jungfrauen-Haushalt und wie die Schluchten alle heißen. Auch ohne sich noch die dazugehörigen Legenden zu merken, ist es eine Wohltat, vorbei an mit Moosen und Farnen überzogenen Hinkelsteinen zu wandern und verborgenen Bächen zu lauschen.

Zeit für Armor

Dann wird es aber Zeit, Argoat – bretonisch für "im Wald" – hinter sich zu lassen und den zweiten konstituierenden Teil der Bretagne, Armor – "am Meer" – kennezulernen. Es bietet sich an, die Küste von einem oder am besten gleich von mehreren Leuchttürmen aus zu begutachten. Immerhin steht mehr als ein Drittel der französischen Leuchttürme auf oder vor bretonischem Boden. Das heißt natürlich auch, dass sie nicht von bretonischen Legenden verschont werden.

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Im Inneren des Phare d' Eckmühl

Dort, wo der Phare d’Eckmühl heute steht, an der Landspitze von Penmarc’h an der Südwestküste, sollen Tristan und Isolde im Meer den Tod gefunden haben – nach einer von vielen Erzählvarianten wohlgemerkt. 307 Stufen führen schneckenförmig auf den Leuchtturm, die Wände sind mit gletscherfarbigen Fliesen aus Opalglas verkleidet, die jede Feuchtigkeit abhalten. Ansonsten besteht er vollständig aus Blöcken des beständigen Kersantits von einem Steinbruch in der Nähe von Brest.

Eine Kette an Signalen

Errichtet wurde er 1897 auf Anordnung der Marquise von Blocqueville, der Tochter eines Reichmarschalls, der unter Napoleon den Beinamen Prinz von Eckmühl bekam, weil er ausgerechnet im bayerischen Kaff namens Eckmühl die Österreicher geschlagen hatte. Aber das ist ja lange her.

Heute kann man sich von oben einen Überblick verschaffen über kleine Dörfer aus Steinhäusern. Viele sind ausgestorben, weil Zweitwohnsitzer die Preise in die Höhe treiben und die Fischerei, die früher ganze Orte ernährt hat, in der Krise steckt. Nicht zuletzt sind auch die Leuchtturmwärter ausgestorben, mittlerweile werden alle Türme Frankreichs automatisch betrieben.

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Am Ende der Welt: Direkt neben dem gewaltigen Skelett der Ruine des Klosters Abbaye Saint-Mathieu de Fine-Terre steht der Leuchtturm des Pointe St. Mathieu auf bis zu 30 Meter hohen Gneiss-Klippen.

Die Kette an Signalen reißt dennoch nie ab – von einem Turm aus sind immer die nächstgelegenen in Sichtweite. Bis hin zum "Ende der Welt", das die Ruine des Klosters Abbaye Saint-Mathieu de Fine-Terre für sich beansprucht. Direkt neben dem gewaltigen Skelett der Abtei steht der Leuchtturm des Pointe St. Mathieu auf bis zu 30 Meter hohen Gneiss-Klippen.

Dort, an einem der westlichsten Punkte der Bretagne wird eine weitere Quelle für Legenden spürbar: Der Leuchtturm ist als Lebensretter für Schiffbrüchige und Mahnmal für die Toten so fest verankert im kollektiven Bewusstsein der Bretonen wie die Untoten in den Wäldern. (Karin Krichmayr, 16.5.2015)