Seymour Hersh brachte sich mit Bin-Laden-Story selbst unter Druck.

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Seine Kinder, so erzählt Seymour Hersh, hätten ihm verboten, Twitter zu nutzen: Der heute 78-jährige Reporter würde den Sturm der Polemik, der seit Wochenbeginn im Internet wütet, wohl kaum kalmieren, sondern eher anfachen.

Begonnen hatte es mit einem Artikel in der "London Review of Books" über die Umstände des Todes von Terrorchef Osama Bin Laden 2011. So wie er 1969 das US-Massaker im vietnamesischen Dorf My Lai aufdeckte und so wie er 2004 die Folterpraxis im irakischen Gefängnis Abu-Ghraib anprangerte, so wollte er auch jetzt die Welt darüber informieren, dass US-Präsident Barack Obama gelogen habe: dass die USA Bin Laden in Absprache mit dem pakistanischen Geheimdienst getötet hätten.

Doch diesmal erntete Hersh kaum Lorbeeren, sondern wurde zur Zielscheibe - vor allem seiner Journalistenkollegen. Der Vorwurf: Hersh nenne bloß eine einzige anonyme Quelle und bausche diese auf - nicht tauglich für seriösen investigativen Journalismus.

Das Image, aufgebaut seit Vietnam, gepflegt durch weitere Recherchen über CIA-Missionen in der UdSSR, über die Hintergründe zum mutmaßlichen Abschuss der Linienmaschine KAL 007, über das israelische Atomwaffenarsenal, dieses Image scheint nun nachhaltig beschädigt zu sein.

Der Journalismus ist zunächst nicht das Ziel des in Chicago als Sohn litauischer Juden Geborenen: Da er nach dem Geschichtestudium keinen guten Job findet, schreibt er sich für Jus ein, wird aber wegen schlechter Leistungen aus der Chicago Law School geworfen und wird Polizeireporter. Die Nachrichtenagentur AP verlässt er später im Streit und heuert 1968 bei Eugene McCarthy an, der sich erfolglos um die Präsidentschaft bewirbt.

Hersh geht nach Vietnam und berichtet als Freelancer. Hier stößt er auf die Story von My Lai, die ihn berühmt machen wird und für die er 1970 den Pulitzerpreis bekommt.

Ins Stocken gerät Hershs Karriere erstmals, als er 2013 Obama vorwirft, verschwiegen zu haben, dass in Syrien nicht nur das Regime, sondern auch die islamistische Gruppe Al-Nusra-Front über Chemiewaffen verfüge.

Nun antwortete Hersh auf die Kollegenkritik mit einem Interview mit dem Magazin "Slate", in dessen Fortdauer er immer mehr die Contenance verlor und 15-mal das "f word" in den Mund nahm. Statt sachlicher Argumentation also bloß rabiate Rundumschläge – in der Quintessenz die Selbstdemontage eines Unbequemen, der lieber austeilt, als einzustecken. (Gianluca Wallisch, 15.5.2015)