Eines muss man der ÖVP lassen: Sie kann sehr gut Parteitage inszenieren, die den Delegierten ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln, Selbstbewusstsein und Hoffnung auf künftige Wahlsiege wecken.

Gut und schön: Parteichef Reinhold Mitterlehner hat den Programmparteitag als "einen der schönsten Tage, die ich in der Politik erlebt habe" bezeichnet, hat die "hierarchiefreie Diskussion" und die allgemeine Begeisterung sowie die spezielle Begeisterung des jungen und des weiblichen Parteivolks gelobt. Dass die Diskussion vielleicht etwas weniger platt ausgefallen wäre, hätte man Gastredner Konrad Paul Liessmann vor der Debatte und nicht erst nach der Beschlussfassung die bürgerlichen Werte abklopfen lassen, ist offenbar niemandem in den Sinn gekommen.

Irgendwie weiß man in der ÖVP ja mit oder ohne Programm, wo man steht. Viel weniger weiß man, wohin man geht, wohin man gehen will. Der Parteiobmann hat dazu auch nur gesagt, dass er ins Kanzleramt kommen will. Das hat ihm viel Applaus gebracht von denen, die ihn bei diesem Gang ohnehin unterstützen wollen. Aber in ihrer Selbstzufriedenheit darf die ÖVP nicht übersehen, dass eine Regierungspartei zwei, drei Leitprojekte umsetzen muss, um Wähler zu überzeugen. Solche Leitprojekte sind aber noch nicht sichtbar, geschweige denn realisiert. In der ÖVP scheint sie auch kaum jemand zu vermissen. Parteitage zu feiern ist eben leichter, als Wahlen zu gewinnen. (Conrad Seidl, 15.5.2015)