Wien – Wenn am Dienstag der Beat von "I Want Your Love" von Eduard Romanyuta aus Moldau mit der Startnummer eins ertönt, beginnt für sie eine der schönsten Wochen des Jahres: Die Fans des Song Contests können in drei Shows anfeuern, ausbuhen und mit ihren Lieblingsacts mitfiebern. Was für manche eine skurrile Veranstaltung mit schlechter Musik ist, ist für sie die beste Musikshow Europas.

Die Community ist gut organisiert. In jedem Teilnehmerland des Eurovision Song Contests gibt es einen eigenen Fanklub. In Österreich ist das die OGAE Austria (Organisation Générale des Amateurs de l'Eurovision). Die Mitgliederzahl hat sich seit dem Sieg von Conchita Wurst 2014 verdreifacht, derzeit sind es rund 500. Waren früher laut Angaben des Klubs noch 90 Prozent der Mitglieder Männer, sind nach dem Wurst-Sieg immerhin schon 30 Prozent Frauen.

Die Song-Contest-Fans sind dabei mehrheitlich heterosexuelle Frauen oder homosexuelle Männer. Das geht zumindest aus einer Studie des Politikwissenschafters Maximilian Bauer für das Buch "Eurovision Song Contest. Eine kleine Geschichte zwischen Körper, Geschlecht und Nation" des Zaglossus-Verlags hervor. Die Umfrage unter rund 600 Fans hat ergeben, dass sich 78 Prozent der befragten Männer zu Männern hingezogen fühlen und 67 Prozent der Frauen ebenfalls zu Männern.

Vier eingefleischte Fans im Porträt:

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Nicht das Freizeichen tutet, sondern Conchita Wurst singt "Rise Like a Phoenix". Schon wenn man Markus Tritremmel (36) anruft, weiß man, welche Künstlerin des Song Contests er besonders verehrt. Tritremmel ist als gewählter Präsident der OGAE Austria sozusagen der oberste Song-Contest-Fan Österreichs. Er verfolgt die Show, seit er zwölf Jahre alt war. 1991 gab es erstmals Punktegleichstand: Die Beiträge Schwedens und Frankreichs lagen am Ende gleichauf. Tritremmel wollte unbedingt, dass Carola aus Schweden gewinnt. Als sie sich schließlich aufgrund komplizierter Berechnungen durchsetzte, "war es um mich geschehen", sagt er. "Ich weiß gar nicht, was passiert wäre, wenn Frankreich gewonnen hätte. Vielleicht hätte ich dann gesagt, so ein Schas, das schau ich mir nächstes Jahr nicht mehr an."

Da das nicht passiert ist, hat Tritremmel seither jedes Jahr den Wettbewerb verfolgt. Erst vor dem Fernseher und seit zehn Jahren live vor Ort. Der Höhepunkt für ihn war, als 2014 in Kopenhagen alle Fans in der Halle "Austria, Austria" schrien. Das zeige den friedlichen Gedanken, der hinter dem Wettbewerb stehe. Neid unter den Fans verschiedener Teilnehmerländer gebe es kaum. "Wenn der Act toll ist, schreit die ganze Halle."

Kritikern des Song Contests entgegnet der Fanklub-Präsident, dass 2014 es viele Beiträge des ESC auch in die Charts geschafft haben. Er ärgert sich aber nicht mehr über den Vorwurf der schlechten Musik: "Ich mache das wie Conchita, ich antworte mit Liebe und sage: Wenn das nichts für dich ist, dann brauchst du es auch nicht einschalten. Aber lass bitte Europa am 23. Mai feiern." Noch einen Wunsch hat er: Die Zuschauerzahlen des ESC in Österreich sollen in diesem Jahr jene des Villacher Faschings überholen.

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Elisabeth Sutrich (42) hat ein eigenes Song-Contest-Archiv. Die Friseurin hat in den 80er- und 90er-Jahren alle Sendungen auf Videokassetten aufgezeichnet und sie sich immer wieder angeschaut. Choreografien, die ihr besonders gut gefallen haben, hat sie eingeübt. "Als ich 13 war, hat die Belgierin Sandra Kim gewonnen, die damals auch 13 war. Das war der Punkt, an dem ich zum Fan geworden bin."

Den Reiz des Wettbewerbs macht für Sutrich die Vielfalt der Beiträge aus. "Beim Song Contest gibt es viel Eigensinniges. Dass die Künstler teilweise gegen den Strom schwimmen, finde ich sehr cool." So mag sie zum Beispiel den Beitrag der Albanerin Rona Nishliu, die 2012 laut ins Mikro schrie. "Ich mag alles, was aneckt."

Da sie vor allem die Vielfalt genießt, vermisst sie die Regelung, wonach die Teilnehmer ihre Lieder in der Landessprache singen müssen.

Bis vor ein paar Jahren hat sich Sutrich den Song Contest noch vor dem Fernseher gemeinsam mit ihrem Mann angesehen. Seit 2011 reisen sie in das jeweilige Austragungsland, um sich die Show vor Ort anzuschauen. Nur Aserbaidschan hat sie ausgelassen. Möglich ist die Teilnahme an den Finalshows vor allem, weil sie inzwischen auch Mitglied im Fanklub ist. Die Klubs bekommen ein Ticket-Kontingent für ihre Mitglieder.

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Durch den Song Contest hat Daniel Morales (27) als Kind einen Bezug zu seinem Geburtsland Deutschland bekommen. Als er vier Jahre alt war, sind seine Eltern nach Uruguay ausgewandert – sein Vater stammt von dort, seine Mutter aus Italien. Als er zufällig auf einem spanischen Sender über eine Castingshow für den Song Contest stolperte, war er begeistert. "Ich war fasziniert, dass jedes Land in Europa einen Sänger zu einem Wettbewerb schickt. Das gab es in Südamerika nicht."

Morales ist beim Song Contest in Wien "Volunteer" und kümmert sich um die Delegation aus Spanien. Auch im Chor der Volunteers für die ORF-Show "Die große Chance der Chöre" singt er mit.

Was ihm am Song Contest besonders gefällt: "Die Leute wollen gewinnen. Man hat drei Minuten Zeit und gibt alles. Es gibt Windmaschinen, Licht, Feuer." Natürlich führe das manchmal zu Kitsch, wenn die Teilnehmer "alles reinhauen, was in drei Minuten geht, damit das Lied im Kopf bleibt". Im Gegensatz zu früher gebe es jetzt aber viele Lieder, die es auch in die Charts schaffen, und weniger Beiträge, "die einfach nur Schwachsinn sind".

Dass viele Fans der Show homosexuelle Männer sind, erklärt er sich damit, dass "das Bunte, Trashige und Poppige" etwas ist, das viele genießen. "Alles, was die Regeln bricht, ist für viele Homosexuelle interessant, weil sie eben auch anders sind. Der Song Contest ist auch anders und polarisiert." Die Bühne sei offen für sehr unterschiedliche Beiträge. Das beweise auch der finnische Song in diesem Jahr, für den Männer mit Downsyndrom auftreten.

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Volksschullehrerin Michaela Gerhardt (40) lernt die Song-Contest-Teilnehmer, die sie besonders begeistern, persönlich kennen. Mit Helena Paparizou, die 2005 den Wettbewerb für Griechenland gewonnen hat, ist sie seit Jahren befreundet. Nach einem Konzert in Athen hat Gerhardt die Sängerin Backstage angesprochen, mittlerweile treffen sie sich regelmäßig. "Ich kenne sogar schon ihre ganze Familie", sagt sie und lacht.

Den Song Contest mag Gerhardt vor allem wegen der poppigen Tanzlieder. Neben den griechischen Beiträgen verfolgt sie auch die schwedischen in jedem Jahr besonders genau. "Das sind meine Lieblingsurlaubsländer", sagt sie. Gerhardt spricht Schwedisch und lernt gerade Griechisch. Auch die diesjährigen Teilnehmer der beiden Länder lernt sie persönlich in deren Botschaften kennen.

Begonnen hat Gerhardts Song-Contest-Leidenschaft sehr früh. "Ich schaue, seit ich denken kann." Schon mit ihren Eltern ist sie früher gemeinsam vor dem Fernseher gesessen. Weil die Finaltickets sehr teuer und schwer zu bekommen sind und sie als Lehrerin nicht während des Schuljahres Urlaub machen kann, hat Gerhardt noch keinen Song Contest vor Ort miterlebt. Heuer wird sie aber das erste Semifinale in der Stadthalle anschauen. Beim Finale ist sie in Stockholm, sie macht dort für fünf Tage Urlaub. "Ich habe schon mit dem schwedischen Fanklub Kontakt aufgenommen und werde mit ihnen gemeinsam die Show anschauen."

Bisher konnte die Lehrerin schon oft voraussagen, wer den Song Contest gewinnt. "Meine Favoriten sind auch meist die Siegerlieder." In diesem Jahr tippt sie auf ein Rennen zwischen dem schwedischem und dem italienischen Beitrag. Das Lied "Grande Amore" der Italiener Il Volo haben übrigens auch die Mitglieder des österreichischen Fanklubs bei einer Preview zum Sieger gekürt. (Lisa Kogelnik, 15.5.2015)