Arvo Pärts "Adams Passion" in der Inszenierung von Robert Wilson.

Foto: Kristian Kruuser / Kaupo Kikkas
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Vom Gipfeltreffen der Genies war die Rede, von der Begegnung zweier Meister des Minimalismus. Dementsprechend groß war die aufgeregte Erwartung und das internationale Interesse bei der Weltpremiere von Arvo Pärts "Adams Passion" in der Inszenierung von Robert Wilson.

Beeindruckend bereits der Spielort: die ehemaligen Noblesser Gießereien am Rande der estnischen Hauptstadt Tallinn. In den nunmehr verfallenden Werfthallen wurden von Zaren - bis zur Sowjetzeiten z.B. Unterseeboote hergestellt. Vor der endgültigen Umwandlung des Geländes in ein Wohn - und Büroareal erfolgt jetzt bis auf weiteres eine kulturelle "Zwischennutzung".

"Adams Passion" ist eine Zusammenstellung dreier Hauptwerke des Komponisten: "Adams Lament", "Tabula Rasa", "Miserere" sowie einer extra für diese Aufführung geschriebenen (und Robert Wilson gewidmeten) "Einleitung" namens "Sequentia".

Das der Gesamtunternehmung den Namen gebende "Adams Lament" für gemischten Chor und Streichorchester basiert auf einem Text des russisch-orthodoxen Berg Athos-Mönchs Silouan, in dem Adam den Verlust des Paradieses und den Verlust der Liebe Gottes beklagt. "Unser Stammvater Adam hat alle Katastrophen der Menschheit vorausgeahnt und sich selbst die Schuld dafür gegeben, zuletzt aber wieder die Liebe Gottes gesucht", meint Pärt dazu.

Schöpfungs - und Zerstörungsgeschichte

Und Wilson nimmt das als Ausgangspunkt, um eine Schöpfungs - und Zerstörungsgeschichte zu erzählen, vom ersten, nackten Mann bis zu Kleinkindern mit Spielzeugmaschinengewehren. Stilistisch kehrt der Weltmeister der Langsamkeit fast zu seinen Anfängen zurück, als er, damals auch als Darsteller, eine Stunde brauchte, um die Bühne von links nach rechts zu überqueren. Diesmal benötigt der Grieche Michalis Theophanous als Adam ca. zehn, gefühlte 20 Minuten, um sich auf einer Art Laufsteg in Richtung Publikum zu bewegen, und dann nochmals so lang, um sich von den Zuschauern, jetzt einen begrünten Zweig auf dem Kopf balancierend, zu entfernen.

In einem ähnlichen Tempo - aber diagonal - durchquert anschließend die majestätische 75-jährige Tanz-Ikone Lucinda Childs das Geschehen. Viel zu viel wallender Trockeneisnebel, grüne Zweige, kahle Bäume, schiefe Leitern, weiße Ziegel, Gerippe von Häusern, Kalaschnikows aus Holz, ein junger Mann im Adamskostüm, ein alter Mann im Anzug - es geht manchmal arg symbolisch zu in dieser Produktion. Und zumindest szenisch etwas eintönig. Und äußerst heilig. Obwohl doch der Komponist immer wieder betont hat, dass seine Werke nicht religiösen, sondern spirituellen Inhalts wären.

Meditative Kraft

Wie dem auch sei: Pärts Musik entfaltet jedenfalls - ungeachtet jeder Optik - auch hier weiterhin ihre ungebrochene meditative Kraft und nachhaltige Faszination. Was natürlich in erster Linie dem "Ersten Apostel" des Meisters, dem Dirigenten Tönu Kaljuste, zu verdanken ist, der sich seit Jahrzehnten dem Pärtschen Schaffen widmet.

Hier vollbringt er gemeinsam mit dem Tallina Kammerorkester und dem Eesti Kammerkoor - und mithilfe der hervorragenden Akustik dieser heruntergekommenen Industriekathedrale, dieses riesigen U-Boot- Grabes - erneut Großartiges.

Im Herbst wird Kaljuste auch die "Pärt-Tage" veranstalten. Denn am 11. September wird Arvo Pärt, der meistgespielte Komponist der Gegenwart, der "Philipp Glass des Ostens", der estnische Nationalheld, der wegen seines ästhetischen Widerstands gegen die Sowjets 30 Jahre lang ins Exil gezwungen wurde, 80 Jahre alt. Zu diesem Jubiläum wird Arte auch eine Dokumentation über sein Leben sowie eine Aufzeichnung von "Adams Passion" ausstrahlen. Die Produktion selbst soll nach der Premiere in Tallinn auf Welttournee gehen. (Robert Quitta, 13.5.2015)