Der Energieriese Royal Dutch Shell kommt seinem Ziel näher, im arktischen Ozean nach Öl und Gas zu bohren. Trotz heftiger Proteste von Umweltschützern stimmte die zuständige Behörde der US-Regierung dieser Tage einem sich über mehrere Jahre erstreckenden Förderprojekt zu. Wenn auch unter Auflagen. Der niederländisch-britische Konzern hat damit zumindest eine wichtige Hürde genommen, braucht aber noch eine Reihe weiterer Zulassungen. Shell bemüht sich schon seit Jahren um die Erlaubnis, Jagd auf die kostbaren Bodenschätze zu machen. Der Konzern will am Rand des Nordpolarmeeres in der Tschuktschensee (an der Nordwestküste Alaskas), in relativ flachem Wasser bohren.

Mit einem gewaltigen Satz springt ein Eisbär im arktischen Meer von einer Eisscholle zur nächsten. Die Schollen werden allerdings weniger. Das Meereseis schmilzt.
Foto: Greenpeace

Was nach einem großen Sprung klingt, ist allerdings nicht mehr als ein Trippelschritt. Generell stecken die Bemühungen der Konzerne, in der Arktis nach Rohstoffen zu schürfen, eher in der Sackgasse. "Die Entwicklung läuft sowohl im Gas- als auch im Ölsektor erheblich langsamer als erwartet", zieht Energieexperte Steffen Bukold vom deutschen Beratungsbüro EnergyComment Zwischenbilanz. Der Grund: Neben den Sanktionen gegen Russland der gefallene Öl- und Gaspreis. Den Preisfaktor hält Bukold dabei für weitaus bedeutsamer. Dass die Erschließung der polaren Rohstofflager besonders aufwendig ist, liegt auf der Hand.

Preisfrage Ölförderung

Was die Förderkosten betrifft, so haben Wissenschafter vor einigen Jahren für Ostgrönland exemplarisch durchgerechnet, dass selbst bei Ölpreisen jenseits von 300 Dollar pro Barrel nur ein Bruchteil der vorhandenen Rohstoffe gewinnbringend ausgebeutet werden könnte. Derzeit liegt der Preis bei unter 70 Dollar. Bukold hält von solchen Berechnungen allerdings wenig: "Solche Zahlen verwirren nur. Wenn Sie ein kleines Ölfeld ausbeuten wollen, sind die Kosten je Barrel extrem hoch. Wenn es sich um ein großes Ölfeld handelt, sind die Kosten je Barrel eher niedrig." Lukas Meus von Greenpeace nennt als weitere Grund für die Verzögerungen auch technische Schwierigkeiten: "Es ist praktisch unmöglich, Öl in eisbedeckten Gewässern zu fördern." Ohnedies seien die Ölreserven in der russischen Arktis (offshore) sehr gering. Profit mit Arktis-Projekten zu machen, hält Meus für "mehr als unwahrscheinlich."

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Defekte Rohrleitungen, Tankerunglücke: Es gibt keine Technologie, mit der Ölgewinnung im Eis auf "sichere Art und Weise möglich wäre", sind Umweltschützer überzeugt. Die Konzerne sehen das naturgemäß anders.
Foto: AP/Thompson

Das Schürfen im Eis beruht tatsächlich auf dem Prinzip Hoffnung. Die ist allerdings groß: Der geologische Dienst der USA schätzt – in einem mittlerweile legendären Gutachten aus dem Jahr 2011 - dass nördlich des Polarkreises immerhin rund 13 Prozent aller förderbaren und bisher unbekannten Ölreserven sowie 30 Prozent der Erdgasvorräte lagern. Empirisch überprüft ist das wegen der geringen Bohraktivitäten nicht, meint Bukold. Was man sagen könne: "Zweifellos befinden sich dort große Gasmengen; bei den förderbaren Ölmengen ist die Lage unsicherer."

Nach dem so genannten Circum-Arctic Ressource Appraisal ist besonders das flache Schelfmeer vor der sibirischen Küste reich an Gasvorkommen. Der überwiegende Teil der vermuteten Rohstoffe liegt – nach allem was man jetzt weiß - in der 200-Seemeilenzone und damit in weitgehend unumstrittenen Hoheitsgebieten der Küstenstaaten. Über Rohstoffe außerhalb dieser Zone gibt es wenig bis keine Informationen.

Nicht von ungefähr hat der russische Ölgigant Rosneft erst im September des Vorjahres euphorisch über die Erschließung riesiger neuer Rohstoffvorräte in der Arktis berichtet. Rosneft-Präsident Igor Setschin schätzte die Reserven, auf die man bei Probebohrungen in der Karasee gestoßen ist, auf 338 Milliarden Kubikmeter Gas und mehr als 100 Millionen Tonnen "wunderbaren Leichtöls", vergleichbar mit der Marke Siberian Light, dem hochwertigsten russischen Öl. Manche sprachen von Vorkommen, vergleichbar mit jenen Saudi-Arabiens.

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Weit weg vom arktischen Eis: Ein Greenpeace-Protest-Bär in Prag.
Foto: Reuters/Cerny

Nicht nur russische Firmen erhoffen sich Profite in der unwirtlichen Gegend. Vor den Probebohrungen hatte Rosneft sich bei der Untersuchung des Untergrunds mit seismischen Methoden der tatkräftigen Unterstützung durch Norwegens Statoil und Eni aus Italien versichert. Mit dem US-Riesen ExxonMobil blickt Rosneft auf eine bewährte Partnerschaft zurück: Kooperiert wurde schon auf Ölfeldern in Sibirien und vor der ostrussischen Insel Sachalin. Das erste US-russische Öl- und Gasprojekt datiert mit Sachalin-1 aus dem Jahr 1996. Das Bohrfeld vor der Insel, vom internationalen Konsortium Exxon Neftegas unter Führung der Texaner gemanagt, wurde zum großen Erfolg – auch hier trotz massiver Proteste von Umweltschützern. 2011 wurde mit Rosneft ein Abkommen über 3,2 Milliarden Dollar zur Erschließung der russischen Arktis vereinbart. "Neue Horizonte eröffnen sich", schwärmte Kremlchef Wladimir Putin angesichts des Vertrags zwischen den einstigen Erzfeinden USA und Russland.

Bis 2011 durften nur Gazprom und Rosneft in der geologisch attraktiven Region operieren, bis zum Exxon-Rosneft-Projekt. Exxon gelang mit dem Russland-Deal ein Coup, der anderen versagt blieb. Auch der britische Ölkonzern BP, der Betreiber der 2010 explodierten Ölplattform "Deepwater Horizon" wollte mit Rosneft in die Karasee, einem Teil des Nordpolarmeers, vorstoßen. Doch der Deal platzte. Erfolglos blieben auch die Verhandlungen von Royal Dutch Shell mit Rosneft.

West Alpha, Putins Prestigeprojekt, liegt derzeit auf Eis.
Foto: Rosneft

Noch im Sommer des Vorjahres – inmitten der wachsenden Spannungen mit dem Westen - hat Putin medienwirksam die von Rosneft und Exxon gemeinsam verwaltete Ölplattform West Alpha gestartet. Der Russland-Repräsentant des US-Konzerns Exxon kündigte an, das Unternehmen wolle seine Arbeit in Russland ungeachtet der US-Sanktionen gegen Moskau fortsetzen. "Unsere Zusammenarbeit ist langfristig. Wir sehen hier große Perspektiven", so Glen Waller laut Interfax. Auch Putin übte sich in Zuversicht: Die internationale Wirtschaft zeige mit dem Projekt "Pragmatismus und gesunden Menschenverstand."

Lange währte die Euphorie allerdings nicht. ExxonMobil musste sich am Ende doch aus Russland zurückziehen. Um West Alpha ist es ruhig geworden. Auch zahlreiche andere Projekte zwischen russischen und ausländischen Unternehmen liegen auf Eis. Shell verkündete die Einstellung der Kooperation mit Gazprom-Neft. Total musste auf seine Zusammenarbeit mit Lukoil verzichten. Dass Rosneft an seinen ambitionierten Plänen angesichts der Krise festhalten kann, ist zu bezweifeln. In den nächsten 20 bis 25 Jahren sollte der russische Ölriese insgesamt 500 Mrd. Dollar (438 Mrd. Euro) in seine Projekte in der Arktis investieren, kündigte Energieminister Alexander Nowak im Februar an. Die Ausgaben seien bereits im Regierungsprogramm eingeplant. Von 300.000 neuen Arbeitsplätzen schwärmte Nowak. Was er auch einräumte: Die Wirtschaftskrise trifft auch Russlands Ölbranche schwer. Durch eine Rezession könnten bis zu 15 Prozent der vorgesehenen Projekte gefährdet sein, warnte der Minister.

Umweltschützer hoffen auf Ausstieg

Die Entdeckerfreude der Konzerne dürfte damit zumindest gebremst sein. Für Umweltschützer wie Greenpeace ist das eine in Ansätzen gute Nachricht: "Derzeit sind die Arktis-Projekte noch am Tisch. Dies bedeutet, dass wir derzeit noch von Verzögerungen sprechen" so Lukas Meus von Greenpeace. Man hoffe, dass sich die russische Regierung im Hinblick auf die Arktis-Projekte aufgrund der derzeitigen ökonomischen Situation ein Ausstiegsszenario überlege. "Mittlerweile hört man Stimmen in Russland, die von geologischer Forschung anstatt von realer Ressourcenförderung in der Arktis sprechen. Das wäre eine Option." (rebu, 14.5.2015)