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Textilmassenproduzent Türkei: Die Hälfte geht in die EU. Doch steht der Markt in die USA erst einmal offen, dürfte der Export um ein Vielfaches anwachsen. Ankara will deshalb beim TTIP dabei sein.

Foto: Reuters

Im laufenden Parlamentswahlkampf feiert die konservativ-religiöse Regierung von Premier Ahmet Davutoglu schon den großen diplomatischen Sieg: Die Türkei hat sich mit ihrer Forderung nach voller Mitsprache bei der Zollunion mit der EU durchgesetzt, so heißt es in manchen Wahlkampfreden. Ganz so ist es noch nicht. Doch die Unterschrift, die der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi am Dienstag in Brüssel unter ein Absichtsabkommen gesetzt hat, öffnet seinem Land sehr wohl beachtliche Aussichten.

Die EU und ihr größter Beitrittskandidat haben sich nun im Prinzip auf Verhandlungen über eine Aktualisierung der Zollunion aus den 1990er-Jahren verständigt, die einen großen Nachteil für die Türkei beseitigen soll. Bisher musste die türkische Wirtschaft alle Freihandelsabkommen akzeptieren, die von der EU-Kommission abgeschlossen wurden, ohne aber selbst auch die Vorteile davon zu haben. Vor allem aber fürchtet Ankara Milliardenverluste und dauerhafte Nachteile für die eigene Wirtschaft, sollte die Türkei vom anvisierten Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) ausgesperrt sein.

Austritt angedroht

Der türkische Europaminister Volkan Bozkir - ein besonnener Kopf in der sonst sprunghaft agierenden Regierung - drohte im vergangenen Jahr schon mit einer Aufkündigung der Zollunion. Denn schon jetzt sind Brüssels Freihandelsabkommen mit Algerien, Mexiko oder Südafrika für die Türkei eine Einbahnstraße. Türkische Exporteure müssen weiter Zölle zahlen, während die Freihandelspartner und sektoriell starken Konkurrenten freien Zugriff auf die gesamte Zollunion der EU haben.

Eine Studie der Weltbank vom Frühjahr 2014 hob einerseits den Gewinn für die türkische Volkswirtschaft durch die Zollunion hervor, der das Land 1995 beitrat. Aber die Weltbankexperten gaben gleichzeitig der türkischen Regierung recht: Die Bestimmungen der Zollunion seien veraltet, der Ausschluss von den Freihandelsabkommen - die dazu noch über den Kopf der Türkei hinweg ausgehandelt werden - unfair und verlustreich.

Schätzungen der türkischen Zentralbank zufolge verliert die Türkei etwa vier Milliarden US-Dollar (3,6 Mrd. Euro) an Wirtschaftsleistung, wenn sie vom TTIP ausgeschlossen ist; ihr BIP wächst aber um 31 Mrd. Dollar (28 Mrd. Euro), wenn sie mit einem Mal zollfrei in die USA exportieren kann.

Bisher deckt die Zollunion der Türkei mit der EU auch nur eine Reihe von Industrieerzeugnissen und eine Reihe von Agrarprodukten ab. Von der Neufassung ihrer Zollunionsregeln mit Brüssel erwartet sich die Türkei eine erheblich größere Liste für den freien Handel mit der Union, vor allem auch die Ausdehnung auf Finanzdienstleistungen.

Strafe für Forellen

Streit gibt es dauernd. Die EU verhängte zuletzt Strafzölle auf türkische Forellen wegen unlauterer staatlicher Förderung von Aquakulturbetrieben. Streit und Grenzblockaden zum Nachbarland Bulgarien, dem maßgeblichen Transitland nach Europa, gibt es regelmäßig wegen der Menge der Durchfahrtslizenzen. Das Handelsvolumen zwischen der Türkei und den 28 EU-Staaten bewegte sich in den vergangenen Jahren um die 130 Milliarden Euro.

Was Wirtschaftsminister Zeybekçi und Handelskommissarin Cecilia Malmström nun unterzeichneten, sind die Empfehlungen einer bilateralen Expertenkommission für die Reform der Zollunion. Ankara erwartet den Beginn der Verhandlungen zum Jänner 2016. Brüssel muss aber erst Studien in Auftrag geben, die die Folgen einer automatischen Beteiligung der Türkei an Freihandelsabkommen abschätzen; und dann die EU-Regierungen fragen. (Markus Bernath, 14.5.2015)