Seit mehr als 30 Jahren übertragen sie den Eurovision Song Contest im Staatsfernsehen. Seit 2009 schicken sie eigene Moderatoren nach Düsseldorf, Malmö oder Baku. Seit einigen Jahren schalten regelmäßig über eine Million Zuschauer ein, wenn der Wettbewerb läuft. Doch dieses Jahr wollen die Australier mehr.

2014 sah es noch aus wie ein augenzwinkernder Scherz, als in der Halbzeitpause wandelnde Australien-Klischees – Koalas, Surfer und Moskitos – über die Bühne hüpften. Sie forderten, beim größten Musikwettbewerb der Welt mitmachen zu dürfen. Nunmehr ist klar: Australien wird mit einer einmaligen Wild Card am Song-Contest-Finale in Wien teilnehmen. Für die europäischen Fans wird der Auftritt am 23. Mai eine exotische Abwechslung in einer an Skurrilitäten ohnehin nicht armen Show bieten. Doch wie erleben die australischen Fans den Grand Prix Eurovision de la Chanson?

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Australia goes Austria: Im Februar spielte die Oper in Sydney "Greatest Hits from Vienna", am 23. Mai ist beim Song Contest in Wien erstmals ein australischer Kandidat zu sehen.
Foto: CITIZENSIDE/AFP/picturedesk.com

Perth, Westaustralien, am 24. Mai kurz vor 3 Uhr früh. Jasmin Bear wird sich aus dem Bett hieven, eine Portion Apfelstrudel aufwärmen und sich gleich wieder aufs Sofa fallen lassen. Die norwegischen, italienischen und schwedischen Flaggen werden bereitliegen, die rot-weiß-rot manikürten Hände zur Fernbedienung greifen, der Fernseher angehen und die Europafanfare ertönen. Wenn in der Wiener Stadthalle der größte Musikwettbewerb der Welt beginnt, wird der selbsterklärte "Eurovision Freak" zwar einen Tag später, aber dennoch pünktlich vor der Mattscheibe sitzen, um live dabei zu sein, wenn es heißt: "Good evening Europe, this is Vienna calling."

Früh aus den Federn

Die Übertragung anzuschauen, ihre Favoriten zu wählen, die passenden Länderflaggen zu basteln und die Fingernägel in den Nationalfarben des Gastgeberlandes zu lackieren gehört für Jasmin Bear längst zum alljährlichen Eurovisionsritual. Dass all das zu nachtschlafender Zeit passieren wird, weil erstmals die Live-Übertragung im australischen Fernsehen läuft, ist allerdings neu: "2015 wird etwas ganz Besonderes. Ich kann zum ersten Mal live zusehen und zum ersten Mal abstimmen. Diese Chance würde ich mir nie entgehen lassen!" Wer denkt schon ans Schlafen, wenn man dabei sein kann, wenn Geschichte geschrieben wird?

Auch in anderen australischen Städten werden sich tausendfach ähnliche Szenen abspielen. Zwar bevorzugt die Mehrheit der Aussies die zeitverzögerte Übertragung, aber wer mitentscheiden will, welcher Teilnehmer von Australien "douze points" verliehen bekommt, der muss eben früh aus den Federn.

Zur Kunstform erhoben

Doch selbst die, die auf der anderen Seite des Globus nicht die Live-Sendung sehen werden, sind mit vollem Einsatz dabei. Da die abendliche Übertragung durch den Zeitunterschied auf einen Sonntag fällt, veranstalten viele daheim einen gemeinschaftlichen Fernsehabend. Fiona Ryan und ihre Freunde haben die häusliche Song-Contest-Party längst zur Kunstform erhoben. Jedes Jahr entscheidet das Los darüber, welche Teilnehmerländer ihre Gäste unterstützen werden, erklärt Ryan: "Am Anfang des Abends ziehen wir Zettel, auf denen steht, wem wir die Daumen drücken. Wir stimmen ab und geben 'unseren Ländern' selbstverständlich immer 'douze points'."

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Guy Sebastian vertritt Australien beim Song Contest.
Foto: EPA/SANDER KONING

Den Sieg des "eigenen" Landes erlebt man dann mit einem lachenden und einem weinenden Auge – genau wie beim Song Contest selbst, wird der Gewinner doch automatisch Gastgeber der nächsten Veranstaltung. 2014 konnte Fiona erleichtert den Außenseitern Aserbaidschan und San Marino die Daumen drücken und sich umso mehr freuen, als der Sieg an Österreich ging: "Conchita ist ein wunderbares Vorbild. Sie kann singen und sieht toll aus. Es ist schön, dass solche Vielfalt bei der Veranstaltung mit offenen Armen begrüßt wird. Wir freuen uns schon darauf, sie dieses Jahr wiederzusehen."

Schnitzel with noodles

Der selbstgebastelte Siegerpokal ist nach der letztjährigen Feier an der Sunshine Coast nach Brisbane gewandert. So sind die Gäste nun in Queenslands Landeshauptstadt geladen, um mit österreichischen Speisen – oder dem, was Australier dafür halten – die diesjährige Show zu verfolgen. "Wir bringen alle ein Gericht mit", erklärt die passionierte Köchin und Food-Bloggerin Fiona Ryan. "Ich habe Rezepte herausgesucht, mir gefallen besonders Salzburger Nockerl und Schweinsbraten. Und natürlich wird es Schnitzel with noodles geben."

Kate Hansen, die Veranstalterin einer großen Song-Contest-Party in Perth, mit Conchita-Bewunderer Daryl Dickson alias ConchiDaz im Jahr 2014.
Foto: The Court Hotel, Perth

Andere verzichten auf die kulinarische Irrfahrt durch Europa und setzten auf Großevents. Vor allem in den Metropolen finden öffentliche ESC-Partys statt. Allein auf der Oxford Street in Sydney sind bereits vier Public-Viewing-Veranstaltungen in Planung. Die größte ist wie jedes Jahr die Eurovision Party in der Oxford Art Factory, die mit einem Quiz, Kostümwettbewerb und dem extrem stimmungsförderlichen Eurotrash Cocktail lockt. Entsprechend gut besucht ist die Feier jedes Jahr.

Alle Tickets verkauft

2015 könnte die Kapazität der Location allerdings auf die Probe gestellt werden, da heuer besonders viele neue Fans erwartet werden. Der Veranstalter ist optimistisch: "Man merkt auf jeden Fall den Hype rund um Guy Sebastian, der für uns singt. Da Australien zum ersten Mal teilnimmt, haben wir sogar einen Vorverkauf. Die ersten Tickets sind alle verkauft", verrät Mark Jones von Gay4Play.

Wie man am Namen unschwer erkennt, handelt es sich beim Veranstalter um eine schwule Event-Website, und natürlich sind viele Fans schwul, lesbisch, queer, wie auch die gesamte Veranstaltung als höchst "camp" gilt. Bei dieser – und jeder anderen – Eurovision-Party schmeißen sich Dragqueens in ihren feinsten Paillettenfummel, greifen Amateurtransvestiten tief in die Make-up-Kiste und stauben Männer wie Frauen ihre Federboas, Perücken und Glitzerhüte ab. Vor der Tür der Oxford Art Factory werden sie mit Werkzeugen zum Abstimmen ausgestattet: rot-grüne zweiseitige Kellen mit einem Daumen nach oben und einem nach unten. Auch wenn die Australier früher nicht offiziell abstimmen durften, taten sie ihre Unterstützung eines Kandidaten stets johlend, pfeifend und klatschend kund.

Freudentränen für Conchita

Der heilige Gral ist natürlich eine Reise nach Europa und ein Ticket für das Eurovision-Finale. Manche Fans planen ihren gesamten Urlaub rund um das Datum der Veranstaltung und den Austragungsort des Wettbewerbs, andere zählen schon die Tage, bis sie zumindest das erste Mal live im Fernsehen dabei sein dürfen.

Song Contest Party in der Oxford Art Factory
Foto: Oxford Art Factory

Wieder andere schwelgen in Erinnerungen an 2014 – wie Adele aus Adelaide, die dieses Jahr daheimbleiben muss: "Als Conchita in Kopenhagen gewonnen hat, standen wir ganz vorne bei der Bühne und haben sie angefeuert. Die Stimmung war elektrisierend, und ich war nicht die Einzige, bei der Tränen flossen, als die Gewinnerin verkündet wurde. Ich hätte mir kein besseres Resultat wünschen können. Ich war im Publikum, als Eurovision-Geschichte geschrieben wurde, und wenn man in Jahren immer noch über Conchitas Sieg spricht, kann ich mich daran erinnern, dass ich dabei war!"

Stereotyp, aber erfolgreich

Der Auftritt, mit dem Australien 2014 bei der Show vertreten war, stieß dagegen auf wenig Begeisterung bei Adele: "Der Gesang von Jessica Mauboy hat nicht gut angefangen, wurde aber besser. Die Showeinlage fand ich allerdings peinlich. Die Darstellung meines Landes war so stereotyp und hat nicht auf die Eurovision-Bühne gepasst."

Die meisten Zuseher sollen ähnlich enttäuscht gewesen sein von der "ESC-Bewerbung" ihres Heimatlandes – und doch war man damit so erfolgreich, dass sich australische Fans heuer ihre eigene Flagge neben die Fernbedienung legen können. (Fiona Brutscher, Rondo, 15.5.2015)