Kaum zu glauben: Dieses schöne Haus war einmal das Marktamt am Yppenplatz.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Kesselheiße und der Leberkäs, dazu gibt es Sauergemüse und Brot.

Foto: Gerhard Wasserbauer

"Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie." Also den ersten Teil von Otto Bismarcks legendärem Bonmot haben sich die Ottakringers eindeutig nicht zu Herzen genommen. Herzstück des neuen Lokals der Wiener Brauerei ist nämlich eine sehr schön gestaltete Fleischerei, in der allmorgendlich Käsekrainer, Frankfurter, Burenheidel und andere Wurst fabriziert und in die dafür vorgesehenen Därme gefüllt wird.

Leberkäse backen sie auch, kann alles durch ein großes Fenster vom Schankraum aus verfolgt werden. Die Brauerei ist nämlich außerordentlich stolz auf ihre Würste, gefertigt nach Rezepturen von Überkoch Christian Petz und hergestellt aus Biofleisch ohne Konservierungsstoffe oder künstliche Geschmackverstärker. Das soll die Kundschaft ruhig mitbekommen, bitte gar schön.

Craftbiere vom Fass

Die Hauptattraktion des neuen Lokals im einstigen Marktamt am Yppenplatz ist aber schon das Bier. Ottakringer hat sich schließlich in den vergangenen Jahren mit beachtlicher Konsequenz zu einer interessanten Brauerei entwickelt. "Wiener Original", das nach dem Vorbild des fast vergessenen Wiener Lagerbiers eingebraute, köstlich süffige Bier, ist da nur der sichtbarste (weil in jedem besseren Supermarkt gelistete) Hinweis. Vergangenes Jahr leistete sich die Brauerei gleich ein komplett neues Brauhaus, exklusiv für die Craftbiere aus der Brauwerk-Linie.

Die gingen bislang nur in der Flasche bei diversen Bierkompetenzzentren über die Theke, am Yppenplatz 4 gibt es sie erstmals vom Fass. Was da an India Pale Ale, an belgisch inspiriertem, obergärigem Blondbier, an Porter und ernsthaft saurem "Flanders Red" aus den Zapfhähnen fließt, ist tatsächlich eine Freude. Dass diese Biere ausschließlich in Pfiff und Seidl gezapft werden, wird den gnadenlos bobokritischen und gentrifizierungsalerten Schüttbierfreund in seinem Urteil über den Ausverkauf öffentlichen Eigentums an die Privatwirtschaft bestätigen.

Das vom Hamburger Architekten Giorgio Gullotta komplett entkernte, mittels Jacobsen-Stühlen, bis ins Dach reichenden Fensterflächen und Tischen aus Baugerüstholz ebenso minimalistisch wie atmosphärisch gelungen renovierte Gebäude beherbergte das zuletzt spektakulär abgesandelte Marktamt.

Wurst, Wurst, Wurst

Das Essen beschränkt sich auf sechserlei Würste in Form von Kesselheißer (sehr gut, siehe Bild), Käsekrainer (mit Bergkäse, nicht anders als fantastisch), Frankfurter (leider aus), Debreziner (speckig, würzig, saftig), Burenwurst (nicht probiert) und Bratwürstel (subtil zitronig) - allesamt in deutlich überdurchschnittlicher Qualität. Auch der Leberkäs ist mehr als okay, im Vergleich zu oberösterreichischen Idealexemplaren halt sehr fest in der Konsistenz. Dass er gegrillt statt ofenfrisch zu Tisch kommt, verstört den Puristen aber einigermaßen. Dazu gibt es hervorragendes Sauergemüse vom Ottakringer Traditionsbetrieb Staud, Brot und Gebäck stammen von Österreichs bestem Bäcker Erich Kasses, hintennach heißt es wie beim Würstelstand: Manner oder Pischinger - anderes Süßes gibt es nicht.

Im Herbst soll es auch saisonale Spezialitäten von Entenwurst bis Kürbisleberkäs geben. Klingt wunderbar - aber frische Kalbswürstel wie im Wursthimmel Oberbayern oder einen ordentlichen Schübling wie in Vorarlberg würde man sich schon vorher dringend wünschen. Wursttechnisch haben wir Wiener nämlich dramatischen Entwicklungsbedarf, da käme eine kompetente Anlaufstelle gerade recht. (Severin Corti, Rondo, 15.5.2015)