Bildungspolitik könnte das spannendste, wahrscheinlich sogar das erfreulichste Segment der Politik sein. Wenn sie denn stattfände. Wenn es denn um Bildung ginge, um Lehrinhalte, um das Leben, für das wir angeblich lernen. Wenn man sich endlich um die jungen Menschen kümmern wollte, die sich durch das österreichische Schulwesen quälen – unterrichtet von Lehrern, von denen ein beachtlicher Teil ebenso unter dem System leidet.

Aber die Bildungspolitik scheint andere Sorgen zu haben. Seit Jahrzehnten predigen linke Bildungswissenschafter und linke Bildungspolitiker gebetsmühlenartig, dass das Heil des Schulwesens allein in der gemeinsamen Schule der zehn bis 14 Jahre alten Kindern läge – während konservative Experten und konservative Politiker exakt das Gegenteil behaupten. Man kämpft mit Statistiken und Schlagworten. Und man frustriert alle, die im System stecken – wissend, dass das System zu teuer ist, zu wenig effizient, zu wenig menschenfreundlich.

Festzuhalten ist: Es gibt längst eine Gesamtschule – sie heißt Volksschule, wird von allen Kindern zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr besucht. Und sie erreicht ihr Bildungsziel erwiesenermaßen nicht: Wenn es 15-Jährige gibt, die nicht lesen und schreiben können, dann hat nämlich die Grundschule versagt.

Vielleicht auch der Kindergarten. Den zu besuchen ist inzwischen Pflicht. Ob die damit verbundenen Bildungserwartungen erreicht werden, wird man erst in einigen Jahren wissen, wenn die ersten Jahrgänge mit Kindergartenpflicht auf den Arbeitsmarkt kommen und sich dort bewähren sollen.

Apropos Arbeitsmarkt: Die wichtigste bildungspolitische Ansage dieser Regierung war, dass künftig alle jungen Menschen bis 18 einer Bildungspflicht unterliegen sollen – und erst dann auf den Arbeitsmarkt kommen. Damit wird die Schul- oder Bildungspflicht vom fünften Lebensjahr (spätester Kindergarteneintritt) bis zum 18. Lebensjahr (Matura oder Lehrabschluss oder was immer) ausgeweitet – was kluge Politiker als Meilenstein in der Entwicklung des Bildungswesens feiern würden.

Noch mehr: Kluge Politiker würden den erweiterten Rahmen dazu nutzen, die gewachsenen Bildungsstrukturen völlig zu überdenken. Es darf nicht sein, dass im Kindergarten bloß Kinder zur "Betreuung" abgegeben werden, die daheim weder das Schnäuzen noch das Binden von Schuhbändern gelernt haben und die (auch und gerade in Haushalten ohne Migrationshintergrund) bei den überarbeiteten Eltern keine Ansprache finden, geschweige denn jemanden, der ihnen Geschichten erzählt oder gar vorliest.

Es darf nicht sein, dass Volksschüler die einfachsten Bildungsziele verfehlen – und dann in eine Neue Mittelschule weitergereicht werden, wo das Volksschulwissen nicht nachgeholt werden kann. Diese Defizite sind bekannt. Und doch beißt sich jede Diskussion an der Gesamtschulfrage fest.

Aus dieser Sackgasse findet man wohl nur dann heraus, wenn die starren Strukturen aufgebrochen werden, wenn Kindergärten zu Bildungseinrichtungen aufgewertet werden (mit mehr und besser bezahltem Personal), wenn die vierklassige Volksschule zu einer längeren Form ausgebaut wird, die ihre Absolventen zum Besuch weiterführender Schulen, aller weiterführenden Schulen, befähigt. Kurz: indem man Schulen für Schüler und nicht für das System einrichtet. (Conrad Seidl, 11.5.2015)