Wer Akademikerkind ist, schafft es oftmals auch selbst zum Hochschulabschluss. Wessen Eltern lediglich die Schulpflicht abgeschlossen haben, dessen Chancen auf einen akademischen Titel sinken rapide.

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Aufregung allerorts: Leistungstests. Timss. Pirls. Pisa. Jetzt auch noch die neue Reifeprüfung. Ein System in Daueraufruhr. Auch weil die Resultate der heimischen Schüler in Relation zu den Investitionen in das Bildungssystem bescheiden sind.

Die Trends in International Mathematics and Science Study (Timss) wies Österreich im Vergleich mit 49 anderen Ländern zuletzt Platz 23 zu. Bei der Lesevergleichsstudie Pirls (Progress in International Reading Literacy Study) rutschte "good old Austria" auf Platz 25 von 45 Teilnehmerländern ab. Platz elf von 35 Teilnehmerländern im Pisa-Mathematik-Vergleichstest wird da beinahe frenetisch gefeiert.

Dass die österreichischen Schüler gleichzeitig jene sind, die am wenigsten Freude an Mathematik zu haben scheinen (nur 45 Prozent stimmten 2012 der Aussage "Mich interessiert das, was ich in Mathematik lerne" zu) – na ja, was soll's.

Bildungsgerechtigkeit

Wenn heute von Bildung die Rede ist, geht es laut Michael Schratz, dem Dekan der School of Education an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, weltweit vor allem um zwei Bereiche: Neben dem oben angeführten Wettbewerbsgedanken ist vor allem das Thema Bildungsgerechtigkeit ein zentrales. Dass Österreich auf diesem Gebiet noch einiges zu lernen hat, bestätigte erst im April wieder die Statistik Austria. Deren Chef Konrad Pesendorfer sprach gar von einem "Bildungs-Gen", das in Österreich "nach wie vor sehr stark am Arbeiten ist". Soll heißen: Wer Akademikerkind ist, schafft es oftmals auch selbst zum Hochschulabschluss. Wessen Eltern lediglich die Schulpflicht abgeschlossen haben, dessen Chancen auf einen akademischen Titel sinken rapide. Geringe "Bildungsmobilität" nennt sich das.

Erziehungswissenschafter Schratz kennt sie, die Schulen, die neben guten Schülerleistungen das Bestreben haben, den Schülern auch den Weg in ein erfülltes Leben zu bereiten. Als Sprecher der Jury des deutschen Schulpreises weiß er, was erfolgreichen Schulen gemein ist. Für besonders wichtig erachtet er den "Umgang mit Vielfalt". "Wie gehen wir damit um, dass unsere Gesellschaft immer heterogener wird?", fragt Schratz und sieht Schule als den einzigen Ort, an dem solch ein demokratisches Handeln gelernt werden könne, denn: "Einen anderen Ort gibt es nicht." Was ihn zur "Verantwortung" führt, der zweiten wesentlichen Säule bei der Wahl der besten deutschen Schulen.

Untertanenstaat

Ein wichtiges Thema, gerade in einem historischen Untertanenstaat wie Österreich. Schratz konkretisiert das große Wort anhand eines kleinen Beispiels. Stichwort Start-ups: "Wo bekomme ich überhaupt unternehmerischen Geist her? Wenn dafür nicht der Grund gelegt wird in der Schule, ist es viel zu spät." Das Problem: "An unseren Schulen wird viel mehr unterrichtet als aufgerichtet. Verantwortungsübernahme lässt sich aber nicht unterrichten." Hier gehe es um eine Haltungsfrage.

Stattdessen: Bundeslehrer. Landeslehrer. Volksschule. Hauptschule. Gymnasium. Sonderschule. Was in Österreich seit Jahrzehnten unter dem Titel Bildungsreform diskutiert wird, hat mit dem Wesen von Bildung nicht viel gemein. Menschen, die täglich mit dem Schulbetrieb zu tun haben, Kinder, Lehrer, Eltern, reagieren vielfach müde bis verzweifelt. Schratz spricht von "ungeheuren Reibungsverlusten" an den Schnittstellen des Systems: "Was da an Energie investiert wird, damit die richtigen Kinder in die richtigen Schulen kommen! Würden wir die nutzen, um alle besser zu machen, wären wir weiter."

Der Systemblick aufs bessere Ganze fehle in Österreich. Wenn auch noch so oft als beispielgebend strapaziert: In Finnland herrsche die Einstellung, die Besten sollen Lehrer werden. Schule arbeite oben, im Norden, nach dem Prinzip: "Wir schauen, dass alle ans Ziel kommen." Habe ein Schüler Probleme, setzten sich alle für ihn ein. "Die Schule als lernende Organisation" nennt das der Experte – und liefert eine weitere Erfolgsingredienz für deutsche Schulpreisschulen. Die natürlich nicht die Einzigen sind, wo Neues entsteht.

Modellregion

Knapp vor dem Parteitag am Dienstag zeigte sich dann auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner offen für schulische Weiterentwicklung. Die Bundes-ÖVP wolle einer Modellregion für die gemeinsame Schule in Vorarlberg jedenfalls nicht im Weg stehen, ließ er via Radio Vorarlberg wissen. Am 22. Mai will die Landesregierung ihr pädagogisches und organisatorisches Maßnahmenpaket zur Weiterentwicklung der Sekundarstufe I präsentieren.

Was gelingende Schulen vor allem eint: Schulleitungen, die Leadership wahrnehmen. Kein Managementtraining, da bleibt die Haltung auf der Strecke. Gemeint sind Direktorinnen und Direktoren, die nicht bloß im, sondern am System arbeiten. Die bestehende Gesetze möglichst günstig für den eigenen Schulbetrieb auslegen, die beschränkte Autonomie bis an ihre Grenzen und darüber hinaus treiben. Mit Zustimmung des österreichischen Jurymitglieds: "Schulen sollen ja so etwas wie Labore der Zukunft sein. Diese Schulen arbeiten am nächsten Paradigma."

Will man das an konkretem "qualitativem Unterricht" festmachen (übrigens und logischerweise ein weiteres Qualitätsmerkmal), fällt dem Schulkenner Schratz ein Gymnasium im deutschen Neuruppin ein. Einmal im Jahr übernehmen dort die Schüler der Oberstufe den gesamten Schulbetrieb. Die Lehrer gehen auf Fortbildung. "Bei uns würde sofort die Frage gestellt, wer denn da die Verantwortung übernehme", ist sich Schratz sicher. Weil Schule viel zu sehr eine Misstrauensorganisation denn eine Vertrauensorganisation sei.

Sinnstiftendes Lernen

Keine wie auch immer geartete Bildungsreform "von oben" kann alleine so ein sinnstiftendes Lernen im Leben verordnen. Dazu braucht es die Leute vor Ort. Auch das eint gelingende Schulen: Hier nutzt man die gemeinsame Expertise, um kluge Lösungen zu finden.

Ein Viertel aller Schüler bekommt hierzulande Nachhilfe. Ein Schüler kann zu wenig Deutsch. Hat die Behinderung X. Sitzt in der falschen Schule. Deshalb passt er nicht hierher. Preisträgerschulen versuchen Lösungen zu finden, statt Probleme zu wälzen. Das geht nicht immer, dafür häufig unter großer Kraftanstrengung. Das geht schon gar nicht als Einzellehrperson. Schratz: "Dafür müssen wir weg von diesem 'ich und mein Unterricht', 'ich und meine Klasse' in Richtung 'wir und unser Jahrgang' oder 'wir und unsere Schule'." Auch eine Haltungsfrage.

Mit dem Befund des Schweizer Kinderarztes Remo Largo, der in der größten europäischen Langzeitstudie zur Entwicklung von Kindern herausgefunden hat, dass jedes Kind anders ist und immer verschiedener wird, lässt sich solcherart wohl besser umgehen. Und wenn der Erziehungswissenschafter Reinhard Kahl daraus die Frage ableitet: "Was wäre das für eine Schule, in der die Schüler immer verschiedener werden dürfen?", dann helfen die Schulpreisschulen als hoffnungsfrohe Inspirationsquelle. Auch für österreichische Bildungsreformer? (Karin Riss, 12.5.2015)