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Zahlreiche Wohnungen und Häuser in Kumanovo wurden in den letzten Tagen zerstört.

Foto: REUTERS/Marko Djurica

Das Viertel Lagjja e Trimave – zu Deutsch "Viertel der Tapferkeit" in Kumanovo – ist verwüstet. Einige Häuser sind niedergebrannt, andere vom Kugelhagel zerstört, zerschossene Autos sind zu sehen, auf der Straße liegen unzählige Patronenhülsen. Es sieht aus wie nach einem Krieg.

Die Bevölkerung konnte am Montag wieder in ihre Häuser zurückkehren, sofern diese nicht zerstört waren. In dem Viertel leben etwa 20.000 Menschen, die meisten sind Albaner, aber in der multiethnischen Stadt gibt es auch Mazedonier, Serben, Türken, Walachen und Roma.

Viele Leute aus Kumanovo waren seit Samstag, als das Feuergefecht um halb fünf Uhr früh begann, aus der Stadt geflüchtet. Die Anti-Terroreinheit "Tiger" hatte einige Häuser mit mutmaßlichen Terroristen in dem dicht besiedelten Gebiet gestürmt. Offensichtlich hatte die Gruppe viele Waffen. Insgesamt dauerten die Feuergefechte zwei Tage.

"Wir wissen nicht, was hier los ist"

Sie hatten jedenfalls keinen ethnischen Hintergrund, wie alle Bewohner der Stadt betonen. Es gab keinerlei Spannungen, und die Situation war vor der Polizeiaktion völlig ruhig. "Wir wissen nicht, was hier los ist. Hier gibt es auch keine UÇK", sagt ein älterer Mann, der im Viertel wohnt.

Die Regierung erklärte, sie habe durch den Polizeieinsatz Anschläge in mehreren mazedonischen Städten verhindern können, die die Terroristen angeblich geplant hatten. Bei diesen Anschlägen wären 8.000 Personen gestorben, glaubt die Regierung zu wissen. Sicher ist: Am Wochenende versuchten hunderte völlig verängstigte Menschen, aus dem Viertel zu fliehen, viele konnten allerdings nicht raus, weil die Polizei – und später auch das Militär – das gesamte Areal abgeriegelt hatte.

Spekulationen über Spekulationen

Das Fazit: Acht Polizisten wurden erschossen, 37 verletzt. Die Behörden sagen, dass 14 Angehörige der bewaffneten Gruppe starben, 30 haben sich der Polizei ergeben. Unklar ist, ob es zivile Opfer gibt. Über die Hintergründe gibt es eigentlich nur Spekulationen, und es ist angesichts der politischen Situation in Mazedonien auch nicht damit zu rechnen, dass es eine unabhängige, objektive Aufklärung geben wird.

Der politische Analyst Sašo Ordanoski denkt wie viele Beobachter, dass die Geschehnisse in Kumanovo "gemacht worden sind, um die politische Dynamik zu ändern". "Die Regierung war ja dem Punkt nähergekommen, wo sie zurücktreten hätte müssen", so Ordanoski.

Regierung seit Monaten unter Druck

Das Kabinett von Premier Nikola Gruevski ist seit Monaten unter Druck, weil die Opposition in regelmäßigen Abständen Protokolle von abgehörten Telefonaten veröffentlicht, die Wahlbetrug, den Missbrauch des Justizsystems und der Polizei, Korruption und Kontrolle über Medien, die für Propagandazwecke instrumentalisiert werden, bezeugen. Mazedonien kann nach all diesen Enthüllungen als ein zumindest semiautoritäres Regime beschrieben werden.

Ordanoski kritisiert vor allem, dass die Polizei-Aktion "völlig unprofessionell" durchgeführt wurde. In Kumanovo glaubt die Mehrheit der Leute, dass es sich um eine Inszenierung der Regierung handelt. Sicher ist, dass bereits vor drei Wochen, am 21. April, etwa 40 bewaffnete Männer die Polizeistation ganz in der Nähe von Kumanovo stürmen wollten. Bereits damals tauchte der Name Mirsad Ndrecaj auf. Der Kosovo-Albaner, der im Kosovo-Krieg auf der Seite der UÇK ein Kommandant war, soll auch jetzt der Anführer der bewaffneten Truppe gewesen sein. Allerdings dürfte er der Polizei entwischt sein.

"Isoliertes Phänomen"

Von den 30 Personen, die verhaftet wurden, haben 18 eine kosovarische Staatsbürgerschaft, einer eine albanische, die anderen haben mazedonische Pässe. Viele von ihnen dürften im Kosovo-Krieg Mitglieder der UÇK gewesen sein. In einer gemeinsamen Stellungnahme der EU, der Nato, der USA und der OSZE betonten diese, dass sie denken, dass es sich bei der bewaffneten Gruppe aber um ein "isoliertes Phänomen" handle und dass nun die politischen Führer in Mazedonien einen Dialog beginnen sollten.

Es ist zu erwarten, dass die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien (die sogenannte Quint) sich in den kommenden Tagen über die Situation in Mazedonien und ein stärkeres internationales Engagement beraten werden.

EU fordert Deeskalation

EU-Politiker wie Kommissar Johannes Hahn fordern zwar seit Wochen von den Politikern in Mazedonien, die Lage zu beruhigen und Eskalation zu vermeiden. Doch das Gegenteil ist passiert. Und die Mediation von EU-Parlamentariern hat bisher nichts gebracht. Ordanoski warnt: "Es wird weiter eskalieren. Man muss die internationale Gemeinschaft, die seit Monaten zusieht, fragen: Habt Ihr genug getan, um das zu verhindern? Es gibt auch eine Verantwortung der internationalen Politik dafür, dass sie nichts tut."

Seit langer Zeit fordern Experten wie Ordanoski oder Florian Bieber von der Universität Graz das Einsetzen eines Sondergesandten der EU. Überlegenswert wäre auch eine internationale Kommission, die einerseits den Skandal um die Abhörprotokolle, andererseits auch das Feuergefecht in Kumanovo untersucht. Denn ohne unabhängige Aufklärung kann es keine Beruhigung der Situation geben.

"Europa bleibt hinter den Erwartungen zurück"

Südosteuropa-Experte Tobias Flessenkemper erinnert daran, dass die EU vor 15 Jahren bei der Befriedung des Konflikts 2001 in Mazedonien eigentlich erfolgreich gewesen sei. Danach habe man aber die Dinge schleifen lassen – Mazedonien hat seit 2005 Kandidatenstatus, EU- und Nato-Beitritt sind aber durch Griechenland blockiert. Im Auswärtigen Dienst in Brüssel gäbe es eine Mediations- und Konfliktpräventionseinheit. "Aber wo sind die jetzt?", fragt Flessenkemper. "Europa bleibt hinter den Erwartungen zurück."

Auffällig ist neuerlich ein vermehrtes Engagement von Russland im Fall von Mazedonien. Das Außenministerium in Moskau meinte, als kürzlich Tausende Demonstranten in Skopje gegen die Regierung demonstrierten, man sei über die "Anti-Regierungsaktivitäten in Mazedonien" besorgt. Die Opposition und vom Westen inspirierte NGOs würden versuchen, das Land zu destabilisieren, so das russische Außenamt.

Reaktionen in den Nachbarstaaten

Das Feuergefecht in Kumanovo hat auch in den Nachbarstaaten zu Reaktionen geführt. So schickte Serbien Sondereinheiten an die Grenze. In Südserbien, gleich an der kosovarischen Grenze, leben viele Albaner – und in Kumanovo, in Mazedonien, leben wiederum viele Serben. Es gab allerdings keinerlei Hinweise auf eine Gefahrensituation in Serbien oder im Kosovo.

Allerdings führen nationalistische Aussagen, wie etwa des albanischen Premiers Edi Rama, zu Ängsten. Dieser hatte kürzlich gesagt, dass Albanien und der Kosovo "gezwungen sein werden, sich auf klassische Weise" zu vereinigen, sollte ihre Vereinigung im Rahmen der Europäischen Union auf sich warten lassen.

Kein Konflikt zwischen Mazedoniern und Albanern

Dennoch ginge es beim Feuergefecht nicht um das Zusammenleben der Volksgruppen. Der mazedonische Premierminister Gruevski betonte, dass es sich in Kumanovo nicht um einen Konflikt zwischen Mazedoniern und Albanern handle, sondern um eine bewaffnete Gruppe, die das Land destabilisieren wolle. Gleichzeitig sandte er eine Warnung an "manche Oppositionspolitiker und sogenannte Journalisten" aus, die "auf dem Rücken der Toten und Verwundeten" politisch Punkte sammeln wollten. "All jenen, die dem Land etwas Böses antun wollen, sage ich, dass sie so enden werden wie diese Terrorgruppe."

Bereits am 5. Mai demonstrierten tausende Mazedonier gegen die Regierung. Denn die Veröffentlichung von Abhörprotokollen hatte jüngst gezeigt, dass das Innenministerium versucht hatte, die Verantwortung dafür, dass 2011 ein Mann von der Polizei zu Tode geprügelt wurde, zu vertuschen.

Großdemo am 17. Mai

Bei den Demonstrationen übte die Polizei Gewalt gegen die Demonstranten aus. Für den 17. Mai ist eine große Demonstration der Opposition gegen die Regierung geplant. Die Regierung wirft den Sozialdemokraten vor, sie würden Gewalt provozieren.

Mit Spannung werden die Enthüllungen über die Aktion "Monster" vom Mai 2012 erwartet. Die Opposition will Abhörprotokolle veröffentlichen, die beweisen sollen, dass es sich nicht um einen ethnischen Konflikt zwischen Mazedoniern und Albanern gehandelt habe, wie dies die Behörden erklärten. 2012 wurden fünf mazedonische Jugendliche ermordet, einige Albaner wurden dafür verurteilt. (Adelheid Wölfl, 11.5.2015)