Vermút ist das spanische Äquivalent zum Frühschoppen. Das typische Getränk ist, wie der Name schon verrät, eigentlich ein Wermut. Die meisten Bars bereiten den Likör selbst zu und haben ihr eigenes Geheimrezept. Zum Vermút gibt es üblicherweise eine Schale Oliven oder andere kleine Snacks. Bis 21. Juni veranstaltet der Konzertsaal "l'Auditori de Barcelona" auf der hauseigenen Terrasse kostenlose Jazz-Konzerte – mit Vermút. Beginn ist sonntags um 12.45 Uhr. Wer einen Tisch ergattern will, sollte 20 Minuten früher da sein.

Sonnenbad mit Jazz

Wir konnten leider nur noch eine Bank in der prallen Mittagssonne erheischen. "Aber das macht doch nichts, was soll in einer Stunde Sonne schon groß passieren", sagten wir uns, die blasshäutigen Kinder des Winters. Das "Diana Palau & Joel Moreno Quartet" performte auf der Bühne langsamen, angenehmen Jazz. Dabei beschränkten sich die Musiker nicht auf eine Richtung: Vom bekannten "The More I See You" sang sich Diana in Begleitung ihrer Band über Blues durch bis zu brasilianischem Bossa nova. Ihre Stimme floss wie Honig durch die Luft und umschmeichelte unsere hungrigen Ohren. Nebenbei konnte man plaudern, essen und trinken, ohne dass sich andere Zuhörer gestört fühlten.

Jazz-Konzert im Auditorium: Bühne und Publikum.
Foto: Johanna Hofbauer

Diese Veranstaltung im Auditorium ist ein Geheimtipp. Der "Palau de la Musica" bietet ähnliches an im Sommer, allerdings muss man dort zwei Stunden Schlange stehen, bevor die Veranstalter überhaupt die Türe öffnen. Zwar ist das Auditorium vom architektonischen Gesichtspunkt betrachtet beinahe schon uninteressant, aber ich gehe ja wegen der kostenlosen Freiluftkonzerte hin. Und das zahlt sich in jedem Fall aus – auch der Sonnenbrand auf meinen Schultern.

Street Art in Barcelona

Noch frisch im Kulturfieber schlugen wir den Weg in Richtung Poblenou ein. Dort erwartete uns in der Straße Pere IV in der Nähe der Metro-Station Selva de Mar das "Festival d’Art Urbá i Espais Públics". Auch hier galt am vergangenen Wochenende freier Eintritt. An dem unabhängigen Event nahmen vor allem Studenten von Kunstakademien und -schulen, Graffiti-Künstler und Maler teil. Das Kunstexperiment der Plattform Collec hat mich besonders angesprochen.

Auf Pollocks Spuren

Die Kunststudenten stellten drei Installationen vor einer alten Textilfabrik auf. Die Fabrik, La Escocesa, steht schon seit vielen Jahren leer. Doch früher, so erklärte mir eine Studentin das Projekt, war die Fabrik Anlaufstelle für Immigranten aus aller Welt. Die Leute kamen, arbeiteten dort und zogen wieder weiter. 120 Jahre lang gingen die verschiedensten Kulturen in diesem Gebäude ein und aus. In dem Experiment standen also dreibeinige Stände mit einem Pendel auf dem Boden. Am unteren Ende des Pendels hing eine Flasche, gefüllt mit einer Farbe: Gelb, Blau und Grün.

Zu Beginn enthielten diese Farben noch viel Weiß. Doch im Laufe der nächsten zwölf Stunden mischten die Studenten immer mehr Farbe hinzu, sodass ein blasses Türkis am Ende zu einem satten Waldgrün wurde. Die zwölf Stunden repräsentierten den 120 Jahre andauernden Betrieb in der Fabrik, während die Farben und Kunstwerke die Bewegung der Zeit und der Menschen darstellten. Die Besucher des Events legten Blätter unter die Farbpendel und schwangen die Flaschen unkontrolliert über die weißen Blätter. Das ergab die verschiedensten Spritzmuster. Auch ich versuchte mich als Straßenkünstlerin – das Ergebnis durfte ich glücklich mit nach Hause nehmen.

Trocknende Kunst vor der Textilfabrik (La Escocesa).

Während ich darauf wartete, dass mein Pollock-artiges Gemälde trocknete, sahen wir vier Tänzerinnen. Jede hatte eine Liste mit Kommandos. Die Zuseher sprachen die Kommandos ins Mikro und die Tänzerinnen mussten die Befehle in Bewegungen übersetzen. Das anfangs etwas schüchterne Publikum wurde immer lauter und mutiger, die Kommandos wurden immer mehr und die Pause dazwischen kürzer. Im Klimax der Performance sprangen euphorisierte Tanzfans in die Luft. Schließlich hielten es viele nicht mehr aus, still zu stehen, und warfen sich auf die Tanzfläche zu den Profis. Dort tanzten dann alle, bis das Lied zu Ende war.

Tanzen auf Kommando.
Foto: Johanna Hofbauer

Abendessen im Born

Am frühen Abend sind wir dann in das alte Töpferviertel El Born gegangen und haben in einem romantischen kleinen Straßencafé, dem Espai Mescladís in der Carrer dels Carders 35, gegessen: katalanisches Pan con Tomate begleitet von köstlichem Hummus, dazu chilenische Empanadas gefüllt mit Käse und Gemüse. Zwar ist es nicht das billigste Lokal im Viertel (Touristenpreise), aber die Lage unter einem alten Torbogen im Freien und die bunten Metallsessel machen den Ort zu einem kleinen Juwel unter den Restaurants in Barcelonas Altstadt. Ein würdiger Abschluss für einen Kultursonntag in meiner Wahlheimat. (Johanna Hofbauer, 12.5.2015)