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"Ich werde immer das tun, was ich angekündigt habe zu tun": Würden Sie das unterschreiben?
US-Konzeptkünstlerin Adrian Piper, Gewinnerin eines Goldenen Löwen bei der Biennale in Venedig, stellt den Besuchern in ihrer Arbeit "The Probable Trust Registry" (2013) Gewissensfragen.

Foto: AP/Luigi Costantini

Arbeit aus der offenen Werkserie "Everything" von Adrian Piper.

Foto: Feßler

Rene Gabri und Aireen Anastas Serie "This State is Sinking" (2015) ist Teil der Ausstellung im armenischen Pavillon auf der Insel San Lazzaro im Kloster der Mechitaristen.

Foto: armenity.net

"I am sick, but I am alive" (2014) von Haig Aivazian ist auch im nationalen Pavillon Armeniens zu sehen, der im Gedenkjahr des Genozids an den Armeniern Künstlern der Diaspora gewidmet ist.

Foto: armenity.net

Anne Katrin Feßler aus Venedig

"Ich werde immer meinen, was ich sage." Stimmen Sie zu? "Ich werde immer zu teuer sein, um mich kaufen zu lassen." Ja? Okay. Aber würden Sie auch einen Vertrag unterzeichnen, sich ein Leben lang daran zu halten? Ohne Ausnahme? Der Kontrakt, den eine junge Dame hinter dem Tresen überreicht, ist Teil einer Performance der US-amerikanischen Konzeptkünstlerin Adrian Piper. Die 1948 im New Yorker Stadtteil Harlem geborene Piper wurde am Samstag, zum offiziellen Start der Biennale Venedig, dem - neben der Documenta in Kassel - wichtigstem Kunstfestival Europas, als beste Künstlerin mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Golden sind auch die Lettern, mit denen Piper den Besuchern ihre Gewissensfragen stellte. Aber sogar Professionisten des Kunstbetriebs hielten die drei Empfangspulte der Arbeit The Probable Trust Registry (2013) im Arsenale für Informationsschalter, schenkten ihr weiter keine Beachtung. Wie kann das passieren?! Die Antwort findet sich im Charakter des Events: eine Hauptausstellung mit rund 700 Werken von 136 Künstlern, dazu 89 Nationenbeiträge und 44 offizielle kollaterale Ausstellungen - verstreut über die Lagunenstadt. "Die intensivste Biennale aller Zeiten" , hielt ihr Präsident Paolo Baratta bei der Preisverleihung fest.

Die Komplexitäten und Dringlichkeiten der globalen Welt hat Chefkurator Okwui Enwezor unter dem Motto All the World's Futures in ein ebenso dicht gewebtes Netz aus Kunst übertragen: Eine womöglich notwendige Logik; in der Realität führt sie jedoch nur zur selben Ohnmacht. Aber vor allem dazu, dass weniger Augenscheinliches unbemerkt bleibt: Zwar ist jene von Olaf Nicolai am Dach des deutschen Pavillons betriebene Schattenökonomie - nur die dort für fliegende Händler gefertigten Bumerangs sausen ab und an über den Rand des Gebäudes - tatsächlich unsichtbar. Dennoch verdient diese mutige Geste Aufmerksamkeit. Passiert man einen der Männer, die in der Nacht vor Gucci & Co illegale Waren anbieten, könnte man sich zumindest an Nicolais Konzept erinnern.

Weniger leicht zu übersehen waren die anderen Arbeiten Pipers: "Everything will be taken away" lautet etwa die Kreidebotschaft, die sich auf Tafeln wie Strafarbeiten eines ungehörigen Schülers immer und immer wiederholten. Alles ist vergänglich. Das Materielle - und schließlich auch wir selbst. Denn in Drucken dieser offenen Serie Everything löschte Piper die Gesichter der Dargestellten aus. Die Frage, wie sich das Subjekt im Verhältnis zur Politik einer Gesellschaft verhält, prägt ihr künstlerisches Werk.

Aber auch ihre philosophischen Veröffentlichungen kreisen um die Natur der Moral. Seit 2005 lebt Piper in Berlin. Sie wird nicht in die USA zurückkehren, solange die US-Behörde für Verkehrssicherheit sie als "verdächtige Reisende" führt. Pipers Ehrung ist verdient, aber auch politisch motiviert. Diese Geste scheint die komplette Löwen-Vergabe zu dominieren, insbesondere jene für den besten Länderbeitrag.

Archive atmen Atmosphäre

Armenien hat zum Gedenken an den 100. Jahrestag des Völkermords ihre Schau den Künstlern der armenischen Diaspora gewidmet. Der Platz ist klug gewählt. Es ist das Mechitaristen-Kloster auf der Insel San Lazzaro, 1772 vom armenischen Mönch Mechitar gegründet. Lord Byron studierte hier im 19. Jahrhundert die armenische Sprache und viele literarische Werke wurden auf dem kleinen Laguneneiland erstmals ins Armenische übersetzt. Es ist eine sehr aufgeladene historische Atmosphäre, die man für sich nutzt. Und ebenso wie bei den Beiträgen Neuseelands in der berühmten Biblioteca Marciana am Markusplatz (s. Artikel unten) oder Portugals (João Louro) im Palazzo Loredan am Campo Santo Stefano nahe der Accademia - ist es besonders die Bibliothek, die man bespielt: Sammeln wie Bewahren sind generell ausgeprägte Motive dieser Biennale. Reaktionen auf allgemeine Symptome des Verlusts?

Der armenische Beitrag Armenity nutzt also ein Archiv, um an systematische Ermordung zu erinnern. Eine starke Metapher, die viele, formal einem internationalen Vergleich nicht standhaltende Arbeiten beflügelt. Optisch überreizen die historisch-angefüllten Settings allerdings. Schön ist etwa die Installation inmitten von Druckerpressen von Nigol Bezijan: Zeitungsausschnitte und auf Video zu Wort kommende (Zeit-)Zeugen halten die Erinnerung an die intellektuelle und künstlerische Vergangenheit der Armenier wach.

Und politisch ging es bei den Ehrungen in Venedig auch weiter. Neben den bereits vor Wochen bekanntgegebenen Ehrenpreisen (Goldener Löwe für das Lebenswerk an den aus Ghana stammenden Bildhauer El Amatsui sowie den Spezialpreis für Verdienste um die Kunst an die US-amerikanische Kuratorin und Museumsleiterin Susanne Ghez) würdigte man insbesonders dokumentarisch arbeitende Künstler: Mit einem silbernen Löwen ehrte man den 1969 geborenen koreanischen Filmemacher Im Heung-Soon. Sein im Arsenale präsentierter Dokumentarfilm Factory Complex (2014) thematisiert prekäre Arbeitsbedingungen von Fabrikarbeiterinnen in Südostasien. Die Arbeit in Spielfilmlänge (!!!) wurde 2014 beim Busan International Film Festival erstmals gezeigt - nun reüssiert sie im Kunstfestival-Rahmen.

Das Medium Film dominierte auch die lobenden Erwähnungen der Jury***. Sie galt etwa dem im Vorjahr verstorbenen Filmemacher Harun Farocki, von dem nicht etwa eine, auch nicht zwei oder drei Arbeiten präsentiert wurden, nein, unter dem Titel Atlas of Harun Farocki ist seinem medienkritischen, sozialpolitischen Wirken eine ganze Filmretro mit etwa 70 Arbeiten (darunter zahlreiche Beiträge von mehr als 30 Minuten) gewidmet. Präsentiert wird diese allerdings in einer kleinen Black Box mitten in der Hauptschau, wo das Oeuvre allenfalls homoöpathisch auf den Betrachter wirken kann und wo die filmische Narration - die Dramaturgie von Anfang und Ende - vollkommen ignoriert wird. Das ist irgendwie brutal und schade.

Dennoch höchst erfreulich ist die Würdigung des syrischen Videokollektivs Abounaddara, deren jüngste, 2014 fertiggestellte Arbeit Syria: Snapshots of History in the Making (52 min) in einem kellerartigen Abteil am hintersten Ende des Arsenale gezeigt wird. Feuchte, Kühle, Enge und Dunkelheit wirken sich steigernd auf das berührende Filmdokument aus, das mit der Rede Assads von 2011 beginnt. In einer anderen Szene wird der Ruf "Frieden für das syrische Volk" von Maschinengewehrsalven unterbrochen. Die Situation in ihrem Land zwingt das Kollektiv zur Anonymität. Daher war auch niemand der Gruppe in Venedig anwesend, wo ihre Videos auch Teil des Arena-Programms im Zentralpavillon sind.

Die in ihrer Absurdität regelrecht surreal erscheinenden kleinen Zeichnungen von Massinissa Selmani, 1980 in Algerien geboren, bleiben gerade wegen ihrer Rätselhaftigkeit im Gedächtnis. In seinen Blättern schlagen sich Medienbilder zu tagespolitischen Themen nieder und führen zu so nachdenklich machenden Sujets wie etwa dem roten Teppich, der neben einem Bus voller Flüchtlinge ausgerollt wird.

Auch auf eine vierte Erwähnung wollte die Jury - entgegen der Gepflogenheiten - heuer nicht verzichten: Man lobte Joan Jonas Beitrag für den US-Pavillon. Wohl auch eher eine Art Lebenswerk-Ehrung der 79-Jährigen, denn ihre Installation Sites of Spirits ist ein wenig zu esoterisch verträumt geraten. (Anne Katrin Feßler, 10.5.2015)