Matthias Strolz war vergangene Woche nach St. Pölten gereist - zur "Kathedrale der Macht". In der Pose von Martin Luther brachte der Neos-Chef am Eingang des niederösterreichischen Landhauses ein Plakat mit Thesen an: "Verantwortung für die Fürsten und Freiheit für die Gemeinden". Drinnen tagte der "Gipfel der Verantwortungslosen", wie Strolz das flott formulierte, die Landeshauptleutekonferenz unter ihrem derzeitigen Vorsitzenden Erwin Pröll, Regent von Niederösterreich, Sinnbild eines "Landesfürsten". Strolz reibt sich mit aller Kraft an den Landeshauptleuten - die das kaum juckt. Gelungene PR-Aktion oder sinnloser Aktionismus, Strolz ist es immerhin gelungen, wieder einmal etwas Aufmerksamkeit zu lukrieren.

Und die brauchen die Neos derzeit dringend. Auf der politischen Bühne sind sie kaum wahrnehmbar, und bei den anstehenden Landtagswahlen Ende Mai im Burgenland und in der Steiermark drohen sie am Einzug in den Landtag zu scheitern.

Die ÖVP hat den Neos weniger Platz gelassen, als das 2013 noch zu vermuten war. Damals schaffte die neue Partei mit frischem Wind und großen Sympathien vor allem aus dem aufgeschlossenen, bürgerlichen Lager aus dem Stand mit fünf Prozent den Sprung ins Parlament. Die Schwäche der ÖVP und der Verdruss über die Behäbigkeit der großen Koalition trieben die Neos voran. Bis Reinhold Mitterlehner kam. Dem neuen ÖVP-Chef gelang es, das Image des tatkräftigen Anpackers zu verfestigen und den Eindruck zu erwecken, die ÖVP würde sich jetzt öffnen, den dick angesetzten Staub der Spießigkeit abschütteln und liberaler werden.

Mitterlehner sandte gezielt seine Botschaften aus. Er suggerierte Bewegung. Aber die gibt es kaum. Und die große Koalition ist so behäbig und festgefahren wie eh und je.

Die Verpackung ist eine andere geworden, die Inhalte sind die gleichen geblieben. Der ÖVP-Parteitag, der am Dienstag in Wien startet, erweckt in seiner Konzeption den Eindruck eines dynamischen Prozesses. In zahlreichen Arbeitsgruppen und mithilfe einer Mitgliederbefragung wurde ein neues Parteiprogramm vorbereitet, das beim Parteitag in 50 Abstimmungen zusammengesetzt werden soll. Wer sich die Anträge und die modularen Bestandteile des neuen Programms allerdings im Detail anschaut, wird entdecken, dass es hier inhaltlich nicht viel Neues gibt.

Im Bildungsbereich bekennt sich die ÖVP wie gehabt zum "differenzierten Schulsystem", also zum Status quo. Parteiintern heikle Themen wie die Diskussion um die Fortpflanzungsmedizin wurden ausgeklammert, und ein echtes Bekenntnis zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare wird man vergebens suchen. Stattdessen schreibt die ÖVP ihr traditionelles Familienbild mit Vater, Mutter, Kind als ihr "Leitbild" fest.

Für die Neos bliebe damit Platz, sich neben und in der Mitte der ÖVP zu verbreitern. Dass sie dabei offenbar auch auf die Unterstützung des ehemaligen ÖVP-Chefs Erhard Busek zählen können, ist ein Hinweis auf ihr Entwicklungspotenzial. Busek ist in der ÖVP zwar nicht sonderlich beliebt, obwohl oder vielleicht gerade weil er als ihr liberales und intellektuelles Aushängeschild gilt. Er steht aber trotz seines Alters für Buntheit, Vielfalt und Bewegung - Eigenschaften, die der ÖVP in weiten Teilen abgehen. Was den Neos jetzt noch fehlt, sind nachvollziehbare Inhalte abseits plakativer Thesen.

(Michael Völker, 10.5.2015)