Martin Andreas fährt mit dem Zeigefinger über die Herzkranzgefäße und versucht, mögliche Verkalkungen zu ertasten. Es ist ein Test, mit dem der 32-jährige Chirurg in einem Operationssaal in Innsbruck abklärt, ob das Herz als Spenderorgan infrage kommt. Tut es. Sofort kontaktiert er das Wiener Allgemeine Krankenhaus, wo der Empfänger Karl Steiner (Name geändert, Anm.), vorbereitet, aber noch wach im Operationssaal liegt. Mit dem Okay von Andreas beginnt die Narkose in Wien. Das ist das Startsignal für die Herztransplantation.

2013 wurden im AKH 41 Herzen verpflanzt, österreichweit waren es 62. Sobald ein verfügbares Organ bei Eurotransplant, der europaweiten Vermittlungsstelle, gemeldet wird, beginnt die Suche nach einem geeigneten Empfänger. Sie verständigen einen Transplantationskoordinator. Das ist der Moment, wo für Damir Joldic (27) der Stress beginnt. Er ist einer von sechs Koordinatoren im AKH. Seine Checkliste ist lang: OP-Team, Rettungswagen oder Flugzeug (am Wiener Flughafen steht immer ein Jet bereit), Koordination zwischen Spenderspital und Empfängerkrankenhaus. Abklären, ob der Patient gesund ist – selbst ein Schnupfen ist eine Gefahr für das neue Organ. Im Hintergrund agiert Andreas Zuckermann, Leiter der Herztransplantation. Er kennt alle Patienten auf der Warteliste.

Unter Zeitdruck

Das Ziel für das Herzteam heißt Innsbruck. Joldic arbeitet seit einem halben Jahr als Koordinator, es ist Teil seiner Facharztausbildung. Auf dem blauen T-Shirt, das er an diesem Tag trägt, steht "Under Control". Zufall oder Berufscredo: Joldic hat alles unter Kontrolle. Im Rettungsauto auf dem Weg zum Flughafen öffnet er einen dicken A4-Ordner, beschreibt dem Chirurgen Andreas Patient und Spender. Die Zeit ist knapp, ein Herz darf nicht länger als vier Stunden außerhalb des Körpers sein. Den Plan einzuhalten gehört auch zu Joldics Aufgaben. Im Flugzeug kann er kurz entspannen, Handy-Empfang gibt es in Learjets nicht.

Mit einem Herz in der Kühlbox fliegen Transplantationskoordinator Damir Joldic und Chirurg Martin Andreas durch Österreich. Oft wird ein "Inländerherz" bestellt, berücksichtigt wird das nicht.
Foto: Fischer

Patient Steiner ist Mitte fünfzig und wird auf der Warteliste als dringend eingestuft. Er leidet an Herzinsuffizienz, von alleine hat sein Herz kaum mehr die Kraft zu schlagen. Ein Kunstherz, eine Pumpe in der linken Herzkammer, unterstützt den Muskel, ist aber nur eine Überbrückung bis zum passenden Spenderherz. Der Spender war Anfang dreißig, ein Unfallopfer. Mehr darf Steiner nicht wissen, er soll keine Rückschlüsse auf die tote Person machen können. Empfänger verlangen manchmal ein "österreichisches" Herz, doch weder der Wunsch nach einem Inländerherz noch Wünsche bezüglich des Geschlechts werden berücksichtigt, Faktoren wie Blutgruppe sind wichtiger. Herzen werden geschlechtsübergreifend transplantiert, organisch gibt es keinen Unterschied. Es kann aber zu seltsamen, für Chirurg Andreas medizinisch nicht erklärbaren Phänomenen kommen: Eine Patientin trinkt nach der Herztransplantation Bier, obwohl sie es davor nie mochte. "Das Herz ist ein sensibles Organ", sagt Andreas.

Herz auf Eis

Der Empfänger ist selten älter als der Spender. Waren es früher häufig Unfallopfer, ist heute der durchschnittliche Spender Mitte vierzig und stirbt an einer Hirnblutung. Verbesserungen in der Notfallversorgung, aber auch die Helmpflicht für Motorradfahrer haben dazu geführt.

Zur Entnahme fliegt immer der operierende Chirurg mit, in diesem Fall Andreas. Er kann das Herz annehmen oder ablehnen. Die Uhr beginnt zu ticken, wenn Andreas die Aorta, die Hauptschlagader, abklemmt. Eine Injektion mit Kalium spült das Blut aus dem Herzen und kühlt es auf vier Grad. Dann kappt Andreas die Blutgefäße, nimmt das Herz, verpackt es in drei Plastiksackerln und verstaut es in der großen blauen Kühlbox mit dem aufgemalten roten Herz. Sie ist bis zum Deckel mit Crushed Ice gefüllt. Nun sind die anderen Transplantationsteams an der Reihe. Es ist wie ein Ausweiden, für alle funktionstüchtigen Organe gibt es Empfänger. Nur von der Milz bekommt jedes Team ein Stück mit, um die Antikörper zu bestimmen, damit das Herz nicht vom Körper abgestoßen wird.

Vorbereitungen auf einen Eingriff.

Jeder ist in Österreich Spender, außer er lässt sich in ein Register eintragen – es gilt die Widerspruchslösung. Anders ist es in Deutschland, hier macht einen erst der Spenderausweis dazu – die Wartezeit auf Organe ist unverhältnismäßig länger.

Waren die beiden Ärzte am Flug nach Innsbruck noch entspannt, legen sie jetzt einen Zahn zu. Sie hieven die Box zuerst in den Rettungswagen, dann ins Flugzeug. Das Herz steht zwischen den Ärzten im Mittelgang. Im Frachtraum gibt es keinen Druckausgleich, was dem Organ schaden würde.

Seit Christiaan Barnard, der 1967 das erste Herz erfolgreich transplantierte, hat sich an der Operationsmethode wenig geändert. "Es sind nur fünf große Röhren, die aneinandergenäht werden", beschreibt Transplantationschef Zuckermann den Vorgang. Dennoch sind die Überlebenschancen deutlich gestiegen, der Schlüssel liegt in der besseren Vor- und Nachbehandlung. Aber der Patient muss mitspielen. Zuckermann bezeichnet sich als Anwalt der Spenderorgane. Das neue Herz soll jener bekommen, der die besten Chancen hat, lange damit zu leben. Er muss mindestens sechs Monate Nichtraucher und "paktfähig" sein – also seine Medikamente regelmäßig nehmen.

Bei Andreas beginnt das Adrenalin zu strömen, wenn er vor dem Wiener AKH aus dem Rettungswagen steigt, mit Joldic die Kühlbox aufs Rollwagerl stellt und in den Operationssaal eilt. Er tauscht Lederjacke gegen OP-Kittel, Mokassins gegen grüne Crocs, nimmt den Mundschutz und setzt die Chirurgenbrille auf. Jetzt beginnt auch für ihn die Operation. Karl Steiner liegt bereits mit offenem Brustkorb auf dem Operationstisch. Ein zweiter Herzchirurg hat seine Hände bis zu den Gelenken in Steiners Oberkörper stecken. Er entfernt das Kunstherz, das stark verwachsen ist. Das Transplantationsteam funktioniert wie ein Uhrwerk, jedes Rad greift in das andere.

Das Blut wird aus dem Körper geleitet, die Herz-Lungen-Maschine übernimmt das Pumpen.

Um Blutungen zu stoppen, werden die Gefäße mit Strom abgeschmort. Der Geruch ist beißend, es riecht nach verbranntem Fleisch. Während das alte Herz entfernt wird, packt eine OP-Schwester das neue aus. Sie hält es in den Händen. "So ein schönes Herz", stellt sie fest und legt es auf Eis. Die Chirurgen arbeiten mit langer Pinzette und Schere im Brustkorb, etwa eine Stunde ist Steiner ohne Herz. Das Blut wird aus dem Körper geleitet, die Herz-Lungen-Maschine übernimmt das Pumpen. Die Schläuche, die aus dem Körper führen, machen gluckernde Geräusche, die Eismaschine brummt. Andreas setzt das Organ ein.

Steiners Körpertemperatur beträgt etwa 32 Grad Celsius. "Bitte aufwärmen", ruft der Chirurg. Aber auch wenn der Körper langsam erwärmt wird, das Herz muss kühl bleiben. Immer wieder verlangt Martin Andreas nach Eis und verteilt eine Handvoll Gefrorenes auf dem Organ. Wird es warm, sterben zu viele Zellen ab. Die "fünf Röhren" sind angeschlossen. Das Blut muss "zizerlweise" in den Körper zurückgeführt werden. Kritisch ist, ob der Muskel von selbst, ohne Schrittmacher, zu schlagen beginnt. Langsam wird es rosa, das schöne Herz schlägt.

Mit dem Eingriff ist es für die Ärzte nicht getan. Die Nachbetreuung durch Chirurgen, Anästhesisten und Kardiologen ist ebenso wichtig wie eine erfolgreiche Operation. "Es ist keine Heilung, wir tauschen eine Krankheit gegen eine andere aus", sagt Zuckermann. Die neue Krankheit heißt Immunsuppression: Die Abwehrkräfte werden herabgesetzt, damit der Körper das Organ nicht abstößt. Steiner muss zunächst auf der Intensivstation bleiben. Dann beginnt sein altes Leben mit neuem Herz. (Marie-Theres Egyed, 11.5.2015)