Nach dem überraschend klaren Wahlsieg der Tories sieht es auf den ersten Blick so aus, als wäre ein Austritt Großbritanniens aus der EU ("Brexit" ) über kurz oder lang kaum mehr zu verhindern. Im Unterhaus in London sind konservative Abgeordnete klar bestätigt worden, die für ihre Ausfälle "gegen Brüssel" bekannt sind. Bestärkt wird dieser Eindruck durch die vernichtenden Niederlagen, die die Labour-Partei und die Liberaldemokraten erlitten haben. Beide gelten - zumindest für britische Verhältnisse - als proeuropäisch.

Nun werden sie weniger mit dem Europakurs ihres Landes beschäftigt sein als parteiintern mit dem Aufräumen der Parteitrümmer. Da auch die EU-Skeptiker der nationalistischen Ukip um Nigel Farage ihr Wahlziel verfehlt haben, könnte der gestärkte Premier David Cameron vollends in die Offensive gehen - und auf Crashkurs mit der EU.

Cameron wird das aber nicht tun. Ein solches Szenario entspricht bei näherer Betrachtung nicht dem, was der Premier mit seiner Europapolitik in den vergangenen Jahren in der Substanz verfolgt und getan hat.

Er will die Union in seinem Sinn verändern, nicht sprengen. Sein Drohen mit dem EU-Austritt, die ständige Ankündigung einer Volksabstimmung, hatte vor allem taktische Gründe. Der relativ junge Parteichef und eher mäßig erfolgreiche Regierungschef musste vor allem seinen eigenen Laden zusammenhalten. Er versuchte, die EU-Skeptiker in den eigenen Reihen zu übertönen. Aber wie bei seinem großen Vorbild Margaret Thatcher lautet die Grundmelodie seiner Überzeugung: Großbritannien zuerst, dann kommt länger nichts, dann kommt Europa.

Das bedeutet in der Praxis: Um für die Briten den größten Vorteil herauszuholen, muss man Mitglied der Union sein und kämpfen - mit allen Mitteln, mit aller Härte. Das mag vom Stil her unsympathisch sein, aber genauso hat Thatcher in den späten 1980er-Jahren den britischen Sonderstatus errungen, vom EU-Budgetrabatt bis zum Opt-out in der Währungsunion. Die Eiserne Lady und ihr Nachfolger John Major haben aber, wirtschaftlich vernünftig, zugelassen, dass die EU-Partner mit dem Maastricht-Vertrag den größten EU-Integrationsschritt aller Zeiten machten. Auch Tony Blair, der gefeierte "Proeuropäer", bestand zehn Jahre später beim EU-Verfassungsvertrag auf Ausnahmen. Cameron folgt dieser langen Tradition. Jean-Claude Juncker, Angela Merkel & Co können sich schon mal aufwärmen. (Thomas Mayer, 8.5.2015)